Zum Lachen und zum Nachdenken

Plakat vom Kabaretungsdienst für das aktuwelle Programm: SchimpfstoffIm Februar 2020 habe ich auf der Bühne unseres Theaterlabor das erste Mal das spritzige und bewegende Kabarettprogramm der Schüler*innen des Johannes Rau Gymnasiums Wuppertal erlebt und mich riesig auf die Vorstellung des neuen Programms “Schimpfstoff” gefreut.

Und der Schimpfstoff hat gewirkt: Wieder bin ich begeistert, berührt, zum Lachen und zum Nachdenken gebracht worden.

Elf Jugendliche brachten mit unglaublich viel Energie, Spielfreude, Musikalität, scharfsinnigem Humor, provokanter satirischer Analyse und Sprachwitz ein Kabarett auf die Bühne, das kaum ein gesellschaftliches Phänomen unserer Zeit ausließ.

Zuerst natürlich die Corona-Pandemie: frierende Schüler, die sich “Kältefrei” wünschten; Homeschooling und seine Auswirkungen: ich bin jetzt mein eigener Chef, Inkompetenz kann ich auf Corona schieben, der Lehrer hat nichts mehr zu melden.  Alle Geschwister kämpfen um einen PC, der Stress Zuhause eskaliert, meine Zukunft ist ruiniert (denn meine Familie ist arm).   Auch die genervte, Kinder hassende Taxi-Mutter; die Senioren=Corona-Boomer, die irgendwie alles vermasselt haben, kommen zu Wort.

Dann die Spielarten von Vorurteilen und Alltagsdiskriminierung: ob Pole, Afrikaner, Muslima, Deutsche,  …. es sind immer die verdammten Anderen (Ausländer), die eben anders, also schuld sind. Und wer wen diskriminiert und nicht neben sich duldet, das scheint völlig austauschbar. Ups, wie denke ich denn über …..?????

Sexuelle Orientierung: herrlich auf den Kopf gestellt: da ist plötzlich der Heterosexuelle krank und therapiebedürftig. Wie lange ist es nochmal her, dass Homosexualität als Krankheit/Anomalie galt?

Sexismus und me-too kamen im “Frau-TV” zu Wort:  alles über sich ergehen lassen – weil es einfacher ist. Einfacher als Protest und Mut sich zu äußern und zu kämpfen? Die starke, mutige Frau ist doch so viel unbeliebter als die Schüchterne, Entgegenkommende.

Weiter ging es mit Sport- und Ernährungswahn, social media und den digitalen Süchten nach Aufmerksamkeit und likes (“ich habe Fans… so tolle, sie schenken Ruhm … ich brauche nichts zu tun”).

Und schließlich singt “Pipi Langstrumpf”: “ich bearbeite die Welt, wie sie mir gefällt”.

Nach der Pause dann das Thema Klima und Corona. Eine bedrückte, schmuddelige Figur, wie ein ungeliebtes Kind seiner Eltern, seufzt: “Ich war nie gut genug. Wurde verlassen, benutzt und belastet. Ein anderes Kind, erst etwa 1 Jahr alt, erhält alle Aufmerksamkeit: “Ich bin Corona und die Welt richtet sich nach mir. Ich habe alles geraubt, die Zukunft juckt mich nicht, ich schau zu, wie die Welt zerbricht”.

Natürlich wurden auch Politiker nicht geschont und in einem etwas anderen Wahlkampf -“Triell” mit Punkten bewertet.

Erschreckend dann der “Geschichtsunterrichtmit “B. Höcke”/AfD. Da gab es furchtbares nationalsozialistisches Gedankengut zu hören.  Ein Zettel mit Zitaten von AfD Mitgliedern, der auf unseren Plätzen lag, dokumentierte, dass dies heute wieder entsetzlich aktuell geworden ist. Das zu hören und zu lesen, macht mich fassungslos.

Zum Abschluss ging es um das aktuelle und drängendste Thema unserer Zeit und der Zeit künftiger Generationen: den Klimawandel.

Ignoranz und Bequemlichkeit

Das Lügen und Verdrängen mancher Politiker und älterer Menschen und die Wut der Jugend kommt in der Parole: “wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut” deutlich zu Ausdruck.  Ich fühle mich davon betroffen.

Die Ironie des veränderten Textes des christlichen “Danklieds” (“Danke für jeden Hitzesommer, Danke für jeden neuen Brand, Danke, dass ihr die Themen wechselt, so bleib ich entspannt”) lässt mich erschauern.  Das Mitsingen macht dieses gute, fröhliche, gemeinschaftliche Gefühl – doch der Text ist alles andere als froh. Zeigt er doch schmerzhaft die Bedrohung unserer Welt auf und die Versäumnisse und das Wegschauen/Versagen auch meiner Generation.

Ich bin beeindruckt von den klugen Texten, die die vielfältigsten gesellschaftlichen Problembaustellen thematisierten, und die das Ensemble vom Kabarettungsdienst so lebendig auf der Bühne performt hat.

Der Schimpfstoff hat gewirkt.  Er hat gewirkt, wenn wir uns aufgefordert erleben, noch achtsamer zu sein im zwischenmenschlichen Miteinander, im Umgang mit Meinungen und wissenschaftlichen Erkenntnissen und mit unseren Ressourcen.  Er immunisiert gegen Ignoranz und Bequemlichkeit.  Hoffentlich aber auch gegen Fatalismus und Hoffnungslosigkeit. Das nehme ich mit und daran möchte ich glauben und mitarbeiten. Und ich bin optimistisch, solange es junge Menschen mit so viel Engagement, Intelligenz und Kreativität gibt.

Lieber Kabarettungsdienst:

Danke für eure Denkanstöße, den Spiegel, den ihr uns entgegenhaltet und den Finger, den ihr in unsere Wunden legt. Danke für die Perspektivenwechsel und für euren Mut.

Danke für diesen Abend!