Bühne – Campus Golzheim, Wolfgang Keuter im Interview mit Junia Hergarten
Wie kam es dazu, dass ihr euch entschlossen habt, den Verein zu gründen?
Als wir den Verein gegründet haben, war ich bei IBM tätig und habe dort vom Manager bis zum Pförtner Meditationsübungen und Psychodrama angeboten. Es ging viel um Konfliktbearbeitung am Arbeitsplatz, wir haben mit Drama-Methoden gearbeitet. Und dann kam der Wunsch in mir auf, mich wieder der darstellenden Kunst zu widmen. Ich wollte eine andere Form des Spielens, des Zeigens und Sprechens entwickeln.
Ich habe dann einiges zusammengeführt: Das, was ich aus dem Zen Buddhismus durch jahrelange Exerzitien gelernt habe und durch meditative Stimmübungen und Atemübungen. Das japanische Nō-Theater hat mich zusätzlich sehr inspiriert. Und dann hat sich einen Kreis von Menschen zusammengetan, die das mittragen wollten. Aber es stand die Frage im Raum, wie wir uns finanzieren. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass diese neue Art des Spiels so viele Menschen anzieht, denn man muss wirklich seine Sehgewohnheiten ändern.
Da hatte ich die Idee, dass wir einen Verein gründen müssen. Es geht nicht ohne Freunde, die bereit sind als Fördermitglieder uns zu unterstützen. Wider Erwarten sind dann ganz viele Menschen zu uns gekommen. Zunächst waren wir also gar nicht darauf angewiesen, dass uns andere finanziell unterstützen. Ich wollte aber nicht nur Menschen, die uns Geld geben. Mir kam es auch darauf an, dass es Menschen sind, die selber auch Freude an Meditation haben und an einer Sphäre, die mit dem Alltag nicht unbedingt etwas zu tun hat.
Ihr seid dann nach Italien gegangen. Warum ausgerechnet Italien?
Es war ein unglaublich heißer Sommertag in München. Ich hatte mich mit Freunden verabredet und wir saßen in einem Lokal. Und es war so heiß, dass wir uns einen Tisch geschnappt und uns rausgesetzt haben. Ich war in einer ganz merkwürdigen Hochstimmung und als wir über die Arbeit sprachen und über Schauspielpläne, bin ich auf einmal aufgesprungen und in mir ist eine Melodie wach geworden und ich habe gesungen: „Wir gehen nach Italien“. Weiß der Kuckuck, wo das auf einmal herkam. Und die, die mit mir am Tisch saßen, fingen auch an, das zu singen. Und auf einmal war klar: Warum eigentlich nicht?!
Ich habe dann meinen sehr gut bezahlten Job aufgegeben, das war alles total unvernünftig. Ich bin dann meiner Intuition, dem Ruf meines Herzens gefolgt. Und Gianni und einige andere, die an dem Abend an dem Tisch saßen, sind mitgekommen. Keiner von uns konnte Italienisch. Wir hatten von Deutschland aus einer Villa gemietet. Es war zunächst eine sommerliche Atmosphäre, so wie ich es mir gewünscht hatten. Wir hatten Ruhe, die Nacht war schwarz, man konnte die Sterne sehen. Es war ein Traum, dort zu sein. Wir konnten dort wirklich forschen. Es gab Räume, in denen wir meditieren oder spielen konnten. Und dann der Park, der Lago di Bolsena war nicht weit weg. Diese ganze Umgebung, diese alte Etrusker-Gegend hatte eine starke Wirkung auf mich. In Italien ist sehr viel Schönes entstanden.
Bevor ich weiter frage, möchte ich gerne einen Begriff klären: Benutzt du eigentlich das Wort Spiritualität?
Ich vermeide das Wort, weil es häufig in einer Art und Weise verwendet wird, die sich von dem unterscheidet, was ich darunter verstehe. Der Begriff wird häufig mit dem verbunden, was man den Kopf nennt und entfernt sich vom Körperlichen. Aber die für mich echte Spiritualität muss durch den Körper gehen. Das Übersinnliche entwickelt sich ja auch nur, wenn jemand seine Sinne überhaupt erst einmal kennengelernt hat.
Wenn ich meditiere, dann ist es eine Meditation im Körper und mit dem Körper und nicht weg vom Körper. Der Körper ist das Haus, in das ich erst einmal einziehen muss und der Körper hat viele Räume. Und wenn ich dann dem Geist begegne im Körper, dann habe ich die Möglichkeit zu echter Meditation. Ich bevorzuge aber das Wort Transzendenz.
Du hast eben von Italien geredet und welche Wirkung die Umgebung hatte. Welchen Einfluss hat der Raum um einen herum auf die Möglichkeit, solche transzendentalen Erfahrungen zu machen?
Die Umgebung spielt am Anfang des Weges eine wichtige Rolle. Wir müssen Orte der Ruhe aufsuchen. Dafür würde ich gerne von meiner Ausbildung in der initiatischen Therapie erzählen: Diese Ausbildung habe ich im Schwarzwald gemacht, an einem Ort über dichtem dunklem Tannenwalde. In einem Tal, durch das keine Autos fahren durften. Und es war ein Ort, der eine Stille ermöglicht hat.
Aber im Laufe der Seminare dort sind wir auf die Frage gekommen: Müsste es nicht auch möglich sein, an die Stille an lauten Orten wie der Stadt heranzukommen? Und da kam die Idee, eine Dependance in Schwabing einzurichten. Dort haben wir die Arbeit fortgesetzt und haben versucht, durch diese Geräusche hindurch zu horchen in die Mögliche Stille, die hinter allen Geräuschen ist. Wir haben ganz schnell Zuwachs kommen und es hat viele Menschen interessiert. Entscheiden ist – um auf deine Frage zurückzukommen – , dass wir diesen Ort der Ruhe in uns selber finden, in uns selber schaffen. Und den kann man dann eigentlich überall hin mitnehmen.
Auch auf die Bühne?
Ja. Die Meditation ist der Kern meines Schauspiels. Und es war wunderbar, dass sich damals ein Kreis von Menschen gebildet hatte, die bereit waren, erst einmal eine Weile zu meditieren, bevor sie auf die Bühne gingen.
Leider beobachte ich heute häufig ein Spannungsfeld: Auf der einen Seite ist mir Ruhe, Stille, Meditation ein Anliegen. Auch die Menschen, die kommen, haben das Bedürfnis. Auf der anderen Seite ist der Theaterarbeit zu eigen, dass am Ende eines Prozesses eine Aufführung stehen soll. Dieses Ziel darf ich aber eigentlich gar nicht haben, wenn ich mich der Meditation widmen möchte. Dieses Spannungsfeld bedauere ich manchmal, auch wenn ich weiß, dass es ganz natürlich ist. Wir bräuchten unendlich viel mehr Zeit und viele Menschen können schlichtweg nicht mehr Zeit hierhin mitbringen.
Das verstehe ich. Ich wünsche mir, dass es den Menschen hier bei unseren Angeboten im Theaterlabor gelingt, ihren Alltag abzustreifen und Kontakt zum Körper zu bekommen, der tagsüber verloren geht. Das alles bedarf sehr viel Zeit. Und erst danach geht es darum, sich mit einem Stück und einer Szene zu beschäftigten und da reichen drei Stunden, die ich für ein Seminar ansetze, oft nicht.
Es hat sich viel verändert. Ich habe früher so gearbeitet, dass wir uns für drei bis vier Wochen getroffen und gemeinsam gearbeitet haben. Das ist gar nicht mehr möglich. Ich kann das auch verstehen, wenn jemand das nicht möchte. Obwohl ich das natürlich schade finde, sehe ich aber trotzdem weiterhin positiv auf das Slow Acting, das sich hier sicherlich weiter entwickeln wird.
Die fragen stellte Junia Hergarten
Liebe Junia,
ich finde es toll, dass in deinem Interview dieses Mal Wolfgang zu Wort kam und seine Geschichte und die Geschichte des Vereins erzählen konnte.
Lieber Wolfgang,
es ist immer wieder beeindruckend von der Geschichte und dem Geist deines Lebens, bzw. der Geschichte und dem Geist unseres Vereins zu lesen – beides ist so unzertrennlich miteinander verbunden. Es ist eine Geschichte stetiger mutiger und kreativer Veränderung, von Loslassen und Ankommen, aber auch geprägt von konstanten Werten und Bindungen. Jetzt sind wir hier in den großzügigen Räumen mit schöner Bühne in Golzheim angekommen und auch hier erlebe ich Wandel. Wandel im Äußeren (ständig verändern sich die Räume, werden umgestaltet und verschönert), Wandel im Gestaltungsprozess unseres Stückes. So ist das Stück nach jeder Probe ein anderes und wie du immer sagst: “es ist nie fertig“; denn es gibt noch unendlich viele Möglichkeiten zu entdecken. Was ist die Konstante? Wie die Überschrift schon sagt: “der Körper…ein Haus in das ich einziehen muss“.
Mein Körper ist mein Ausdrucksmittel, meine Substanz, mein Werkzeug, meine Sprache auf der Bühne. Die Konstante im Schauspielstudum bei dir ist die Einladung diesen Körper mit all seine Möglichkeiten wahrzunehmen, zu entdecken und wert zu schätzen und auf seine Sprache zu hören. Hierbei helfen Meditation, Gelenktanz, Langsamkeit, atemrhythmisches Tönen und Sprechen, der Einsatz der Gebärden und all die Stilmittel, die du lehrst und die dann einer Bühnenfigur Struktur und Ausdruck verleihen.
In meinen Jahren des Studiums bei dir habe ich gelernt – und dafür bin ich besonders dankbar – meinen Körper neu wahrzunehmen und auch zu verändern. Ich habe noch mehr als sonst die Stille als Kraftquelle genießen gelernt und die oft schmerzhafte Herausforderung, immer wieder loszulassen und neu anzufangen, wahrgenommen. Der Prozess ist natürlich nicht abgeschlossen, wird und kann es auch wohl nie sein. Aber ich möchte ihn nicht missen – und mich im Körperhaus, auf der Bühne und im Theaterlabor weiter lebendig fühlen und das Haus immer wieder neu entdecken und darin auch zur Ruhe kommen.
Herzlichst
Sigrid
Und das du immer wieder ins Vertrauen in dich, mich, an Gianni, an Slow Acting und das TLTG trotz so mancher Wüstengänge und Talfahrten und Abstürze gefunden hast, hallo Sigrid – dafür danke ich dir. Ja – erst die Körpersprache, dann die verbale Sprache und Zug um Zug, die Zeichen der Methode einverleiben und die Zeichensprache auf der Bühne “darleiben” unabhängig vom Text und wenn es gut ist, dann sind die Zeichen vom Atem getragen und durchströmt und wenn es noch guter wird geschieht das alles vom Zwerchfell aus, dem fleischgewordenen Selbst. Die Konzentration auf alles das bei gleichzeitigem Loslassen und Geschehenlasssen, du bist mitgegangen und immer wieder auch vertrauend der Weisheit dieses ungesicherten Weges der ja nur ein Ziel kennt. Das sind wir selbst in unserer Mitte. Danke Sigrid für dein Mitgehen. W.