KASPAR – Aufführung am 03.02.19
Ich bin überwältigt. Muss alles noch verarbeiten. Aber ich bin froh, dass ich dabei war.
Kaspar, ein Mensch, ein trauriger einsamer Mensch. Es nimmt mich mit. Ich fühle mit ihm.
Das Licht geht an. Ein Scheinwerfer auf die schwarze Wand. Und Kaspar kommt. Langsam, ganz langsam. Gebeugt, die Hände seitwärts an seinem Hut. Im Schattenbild sieht es aus wie ein großer Vogel, der langsam daher stelzt. Wunderbar, diese Langsamkeit, die Wolfgang so liebt.
Peter als Kaspar steht auf dem Bühnensteg. Nein, er steht nicht, er ist gebeugt. Noch immer Blickrichtung schwarze Wand. Er beugt sich immer mehr. Und dreht sich, langsam. Steht nun mit dem Gesicht Richtung Publikum. Doch gebeugt. Er atmet schwer. Eine braungestreifte Hose, eine braune Weste, ein braunkarierter Hut. Kaspar sieht gut aus, die Kleidung passt zu ihm. Braune glänzende hohe Schuhe. Was macht er? Er schlägt mit den Hacken an die Bühnenstufe. Es kracht. Richtig laut. Zackig, wie ein Soldat, der stramm stehen soll.
Ich möchte ein solcher werden wie …
Plötzlich geht Kaspar etwas in die Hocke. Zieht an seinem linken Hosenbein. Und somit zieht er das Bein auf die Bühne. Wahnsinn. Das gleiche mit dem rechten Hosenbein. Das rechte Bein auf die Bühne. Was für eine Körperbeherrschung. Und er steht, Blick Richtung Publikum. Schaut traurig. Und dann spricht Kaspar: „Ich möchte einmal so sein, wie ein anderer einmal gewesen ist.“ Er spricht es langsam. Ein wenig melancholisch. Wehmut in seiner Stimme. Er wiederholt den Satz, in einer anderen Tonlage. Immer wieder, mehrere Male.
Ein anderer Ton. Es kommt etwas Richtung Bühne. Kaspar steht an der Wand. Einsam. Es kommt Sigrid als Einsagerin. Ja, ein neues Wort. Es sind Spieler, die nicht im Dialog mit Kaspar sind. Sondern einfach nur einsagen. Sigrid, ein seidengrauer hautenger Ganzkörper-Overall. Der große Rollkragen bis an die Lippen gezogen. Die Hände sind in den Overall eingearbeitet. Eine zweite Haut über den leiblichen Körper. Und ein rosafarbenes Kleid darüber. Was hält sie da in der Hand? Einen Teller mit einem Stückchen Käsekuchen. Und hält es Kaspar hin. „Na, das ist es. Alles Worte, nur ein Satz.“ Sigrid als Einsager artikuliert verständlich. Sie hat es nach vielen vielen Übungen geschafft. Es ist schön, ihr zuzuhören. Sie beißt in den Kuchen. Und Kaspar schaut traurig. Sigrid geht ab, kauend und sprechend.
Kaspar ist wieder allein. „Ich möchte einmal so sein wie ein anderer einmal gewesen ist.“ Geht Richtung Stuhl. Gekrümmt. Nimmt den Stuhl. Spielt mit dem Stuhl. Ich glaube, er sieht in dem Stuhl den Anderen, den, der er einmal sein möchte. Und so traurig. So einsam. Es ist wunderbar ergreifend, wie Peter Kaspar darstellt. Er ist nur leicht geschminkt. Aber seine Lippen knallrot. Dadurch kommt der Satz viel mehr zur Geltung. Dieser eine Satz: „Ich möchte einmal so sein wie ein anderer einmal gewesen ist.“
In seiner eigenen Welt
Es wird laut. Dinah als Einsagerin kommt. Laut singend, Rap oder so. Kommt fröhlich auf den Bühnensteg. Was für eine Show. Doch Kaspar sieht es nicht. Er ist so versunken in seine Traurigkeit, in seine Einsamkeit. Auch Dinah diesen seidengrauen Ganzkörperoverall. Die Hände eingearbeitet. Und sie tanzt und singt. Ihre Stimme. Wunderbar. So ein Timbre. Solch eine Klangfarbe in ihrer Stimme. Sie möchte Kaspar aufheitern. Doch er sieht es nicht. Tanzend und singend geht Dinah vom Bühnensteg.
Wieder ist Kaspar allein. Er spricht seinen Satz. Es kommt mir vor, als liebt er ihn. Er liebt es, ihn immer wieder zu wiederholen. Krümmt sich manchmal, schleicht an der schwarzen Wand entlang. Spricht diesen Satz: „Ich möchte einmal so sein wie ein anderer einmal gewesen ist.“
Von einem Tisch, einem Stuhl
Ein Summen im Hintergrund. Am Summen erkenne ich Doris. Mit ihrer wunderbaren Stimme. Eine Opernstimme. Für mich. Sie geht auf den Bühnensteg. Und auch wieder dieser Ganzkörperoverall mit den eingearbeiteten Fingern. Ein schickes blauglänzendes enges Kleid. Und sie spricht. Von einem Tisch, einem Stuhl, einem Schuhsenkel. Der Stuhl kippt um, der Tisch ist kein Tisch usw. Ich kann es gar nicht alles wiedergeben. Es ist verwirrend. Und nicht gut für Kaspar. Der im Hintergrund manchmal schon kriecht. Und mit Doris Abgang wieder allein ist. In seiner eigenen Welt.
Wer kommt nun, lachend, mit seiner tiefen sonoren Stimme. Es ist Marcel. Und auch er mit diesem Ganzkörperoverall. Die Hände in den eingearbeiteten Fingerhandschuhen. Er macht sich lustig, glaube ich. Er lacht herzlich. Über den Tisch, den Stuhl und den Schuhsenkel. Einfach nur diese drei Dinge und ein Spiel entsteht. Es ist absurd. Ja es ist absurd. Doch Kaspar bekommt wieder nichts mit. Er ist einsam. Oder will er einsam sein? Will er alleine sein?
Einsam, traurig, melancholisch
Marcel geht ab. Kaspar spielt mit seinen Schuhsenkeln. Zieht einen aus dem Schuh heraus. Zieht den Schuh aus. Er steht da. Mit einem Schuh am rechten Fuß, am linken Fuß kein Schuh. Er hält ihn in der Hand. Betrachtet ihn. „Ich möchte einmal so sein wie ein anderer einmal gewesen ist.“ In einer so melancholischen Stimmung. Er nimmt das Schuhbändel. Zieht es lang. Geht in die Beuge. Das Bändel vorne. Kaspar das linke Bein nach vorne über das Bändel. Als wolle er hindurchkriechen. Was für eine Körperbeherrschung. Er steht auf einem Bein, kippt nicht um. Das linke Bein ist nun vor dem Bändel. Das rechte Bein in der Luft. Kaspar steht angespannt und zieht das rechte Bein nach vorne über das Bändel. Wieder einmal der Satz: „Ich möchte einmal so sein wie ein anderer einmal gewesen ist.“
Sigrid als Einsagerin kommt zurück. Wieder diese verrückte Geschichte mit dem Tisch, dem Stuhl und dem Schuhbändel. Erst hatte ich verstanden Fisch, doch hinterher verstand ich Tisch. Wunderte mich, was ein Fisch mit dem Schuhsenkel und dem Stuhl zu tun hat. Sie sprach schnell. Doch verständlich. Immer noch bin ich irritiert. Über den Tisch, den Stuhl und dem Schuhsenkel. Kaspar allein lassend geht Sigrid ab.
Einsam, traurig, melancholisch
Kaspar kommt ins Stottern. Er spricht nur Worte. Weil er, glaube ich, durch die vielen Einsager, verstört ist. Auf einmal kommen von dem Satz nur noch Bruchstücke. Von hinten nach vorn, von der Mitte nach hinten. Das ist Wahnsinn, wie Peter das so schafft. Ich bin begeistert. Er ist grandios. Und einsam, traurig, melancholisch.
Ein Lachen und Singen im Hintergrund. Dinah und Marcel kommen Richtung Bühnensteg. Lustig, fröhlich, albern. Und rappen. Mit glitzerfarbenen Mänteln. Turnschuhen und Käppis auf dem Kopf. Toll sehen sie aus. Ein richtiger Rappgesang. Wie sie es schaffen. Als hätten sie es jahrelang gemacht, jahrelang gerappt. Und wieder diese Geschichte des Stuhls, des Tisches und des Schuhsenkels. Ein abendfüllendes Programm. Drei Dinge, die zu einer Story verarbeitet werden. Doch wiederum bekommt Kaspar nichts mit. Ist immer noch mit sich selber beschäftigt. Zupft an seiner Kleidung herum. Hält sich an seiner Mütze fest. In seiner Einsamkeit. Dinah und Marcel gehen rappend vom Bühnensteg.
Hand in Hand von der Bühne
Kaspar allein. Ich glaube, jetzt fantasiert er. Der Satz geht kreuz und quer. Ist nicht mehr der klare Satz: „Ich möchte einmal so werden wie ein anderer einmal gewesen ist.“ Sein langsam beginnender Irrsinn kommt hervor. So seh ich es. Er wird irrsinnig. Vor lauter Einsamkeit und Melancholie.
Noch einmal kommt Dinah. Als liebenswerte kleine Französin. Eine schicke braune Hose, ein brauner Blazer darüber. Und erzählt in einem so echten französischen Akzent vom Abend. Vom Tisch, vom Schuhsenkel und vom Stuhl. Das ist wunderbar. Ich bin begeistert. Eine kleine Französin steht auf dem Bühnensteg. „Meine Damen und -erren, isch erzähle Ihnen…“ Die Bewegung, grazile wie es sich für eine Französin ziemt. Toll.
Doch wer kommt jetzt. Ich traue meinen Augen nicht. Es ist Belgin. Auch sie mit dem Ganzkörperoverall und einer Latzhose darüber. Sie geht auf die Bühne zu Kaspar. Sie spielt mit ihm. Fasst ihn an. Und verfälscht albern diesen Satz. Und Kaspar, er geht mit, er spricht diesen verfälschten Satz und ist auf einmal fröhlich. Und kann lachen. Belgin springt auf seinen Rücken. Kaspar trägt sie huckepack. Was für eine Verwandlung. Ich kann es nicht glauben. Und beide tanzen auf der Bühne in den Schluss hinein. Gehen Hand in Hand von der Bühne.
Wunderbar waren immer wieder die stillen Momente, diese Stopps, sekundenlang in einer Figur innehalten. Z.B.: Als Belgin und Kaspar in den Apfel bissen. Und ein Stopp kam. Sie blieben regungslos in ihrer Bewegung. Belgin den Apfel zwischen den Zähnen. Kaspar den Apfel kurz vor dem Mund. Und sie stehen da, wie versteinert. Ich glaube, es waren Minuten. Und sie hielten stand. Mir blieb der Atem weg. Wann dürfen sie sich endlich wieder bewegen? Nervenaufreibend.
Immer wieder zwischendurch Stopp und Stille. Kaspar verharrend in einer Position, wenn die Einsager kamen. Dadurch stieg die Spannung. Ich muss sagen, Peter hat so eine Körperbeherrschung. Das ist bewundernswert.
Applaus, Applaus. Bravorufe
Applaus, Applaus, Applaus. Bravorufe. Die Spieler kommen zurück auf die Bühne. Die Erleichterung ist ihnen anzusehen. Und die Freude über den Applaus. Ich gehe auf die Bühne, verteile die Tulpen. Ein Dankeschön an die Spieler. Die mir soviel Freude brachten, aber auch soviel zum Nachdenken. Über das traurige Schicksal des Kaspar. Und die Einsager, die ihn aufheitern wollten. Doch nur eine hat es geschafft. Belgin.
Ich glaube, diese Figur Kaspar gibt es viel öfter auf der Welt, als wir zu denken glauben. Wieviel einsame Menschen gibt es, die anders sein möchten, als sie sind. Aber ist das der Sinn des Lebens? Kann ich mich nicht einfach so akzeptieren, wie ich bin. Wie ich geboren bin, wie ich lebe und wie ich irgendwann einmal sterbe. Dieses sollte sich jeder einmal zu Herzen nehmen. Liebt euch so wie ihr seid, versucht nicht immer ein anderer zu sein. Denn dann werdet ihr einsam und traurig wie Kaspar.
Danke für den wunderbaren Abend.
Gabriela
Ich habe Kaspar verpasst….
Oder doch nicht?
Ich lese Deine Beschreibung, einmal, ein zweites Mal und tauche so sehr in die Details ein, dass es sich anfühlt, als wäre ich doch im Zuschauerraum gewesen. Oder als wäre ich Kaspar?
„Ich möchte einmal so sein, wie ein anderer einmal gewesen ist.“
Gabriela, ich danke Dir für diese wundervolle Beschreibung des Stücks. Ich hab es verpasst und doch ein Stück weit miterlebt.