Wow, was für eine offene Probe, was für ein Schauspiel. Ich war im Banne von Anfang bis Ende. Schon als Prinz Leonce den Bühnensteg betrat. Diesmal im weißen Oberhemd und einer grau-anthrazitgestreiften Anzughose. Ich hatte das Gefühl, Leonce hat abgenommen. War es das weiße Hemd oder war es tatsächlich so. Zuviel Melancholie, dass er als Prinz einmal König werden soll. Das schlägt auf das Gewicht.

Ein Prinz, der nicht König werden will!

Diesmal Sprechen von Anfang an. Das war ergreifend. Leonce, ein Prinz, der nicht König werden will. Er spricht mit sich. Und geht mit seinem schwarzen Hocker und dem weißen langen Seil auf die Bühne. Er geht wieder im Karree. Große Schritte, kleine Schritte. Sprünge, sehr hoch. In die Hocke gehen und laufen. Wunderbar. Er sinniert über den Tag und über seine Arbeit. Dann wirft er das Seil, dass es diagonal auf dem Bühnenboden liegt. Er balanciert darüber. Hin und her. Und er hat Spaß daran.

Doch dann, das Seil wird zum Kreis gelegt. Das Höckerchen in den Kreis gestellt. Leonce stellt sich auf das Höckerchen. Er nimmt das Seil, legt es sich langsam um den Hals, dreimal umwickelt. Eine Schlaufe hält er nach oben, so als wenn er dieses lange Seil an einem Haken befestigt. Und springt. Springt vom Hocker. Will er sich umbringen? Nein, er will nur springen. Hat Spaß daran, dieses Seil um seinen Hals zu legen, eine Schlaufe nach oben zu halten und wieder zu springen. Toll. Ich bin fasziniert. Ende, er nimmt das Seil. Springt Seilchen. Wie in Kindertagen. Und legt es wieder zu einem Kreis, stellt sich in den Kreis.

Magda kommt.

Das Licht geht zum Bühnensteg. Magda kommt. Mit ihrem Tic, Mundwinkel verziehen, Kopf nach hinten ziehen. Wieder drei Bücher auf dem Arm, Diesmal hat Magda einen langen schwarzen Tüllrock an. Im Scheinwerferlicht sieht man ihre Beine. Eine sexy Hofdame? Magda geht zu Leonce. Mit ihrem leicht behinderten Gang, ein Bein nachziehend. Ihrem Tic, den sie immer beibehält. Was für eine Leistung.

Sie spricht zu Leonce: Mein Prinz, es ist Zeit. Die Herren Lehrer warten schon. Sie müssen sich auf den Beruf des Königs vorbereiten. Doch Leonce will nicht. Was wollen Sie von mir, Magda. Sie sehen doch, ich habe alle Hände voll zu tun. Die Hände abwechselnd mal hoch, mal runter, mal rechts, mal links. Probieren Sie es. Ja, probieren Sie es. Und Magda schüttelt nur ihren Kopf. Sie kann Leonce nicht zum Unterricht überreden. Geht beleidigt zum Stuhl, der rechts hinten an der Wand steht. Setzt sich. Und auf einmal kommt zu ihrem Tic noch das Händespiel dazu. Sie hat es von Leonce übernommen.

Die Lache von Valerio – wunderbar!

Wieder geht das Licht zum Bühnensteg. Was ist das. Ein kichernder, alberner Valerio. Wunderbar wie Belgin den Valerio zeigt. Und die Lache von Valerio. Einfach grandios. Valerio geht kichernd um Leonce herum, der wieder in seinem Kreis steht. Wie der Mensch geht, ach könnte ich nur einmal so wie Valerio gehen. Einmal nur ein anderer sein.

Valerio will Leonce aufheitern. Macht seine Späße. Und Leonce, ach Valerio, du bis ein Narr. Ja, ein Narr. Und da legt Valerio erst richtig los. Was für eine Mimik, was für eine Stimme, plötzlich ganz leise, dass Spannung aufkommt. Ja, ein Narr, das ist es Leonce. Das ist toll. Ich bin Friedrich der Große, schau.
Man bekommt gutes Essen, gute Kleidung, ein schönes Bett, und ganz umsonst die Haare geschoren. Und wo,
ganz leise spricht es Valerio, im Narrenhaus, ja im Narrenhaus.

Und er spricht es lachend immer lauter, im Narrenhaus. Leonce immer noch in seiner Melancholie. Ach Valerio, was ist deine Passion, was machst du eigentlich den ganzen Tag. Valerio zu Leonce, sehr vergnüglich, ich tue nichts, nein nichts. Ich habe die Fähigkeit zum Nichtstun. Keine Schwiele findest du an meinen Händen, kein Schweißtropfen hat je den Boden berührt. Valerio schafft es nicht, Leonce aufzuheitern. Er singt sein Lied Hei da ist ne Fleig an der Wand und geht zum Stuhl, der links hinten in der Ecke steht.

Leonce verwandelt  sich in König Peter.

In der Zwischenzeit geht Magda zum Sockel, wo die Krone von König Peter liegt. Sie nimmt die Krone geht zu Leonce und verwandelt Leonce in König Peter. Die Krone auf dem Haupt, ein schwarzer Pinguinfrack, ein langer grauer Bart. Und Leonce ist König Peter. Das Licht fällt auf ihn. Und König Peter, er muss denken, er denkt in Kölsch. Ist das nicht wunderbar? Isch muss denke, isch muss für mein Volk denke…. Magda, warum hab ich hier einen Knoten in meinem Taschentuch? Und Magda: Majestät, als Sie diesen Knoten ins Taschentuch knüpften, wollten Sie sich an etwas erinnern. Ja, Sie wollten sich an etwas erinnern.

So ging das nun hin und her. Bis zum Schluss König Peter nicht mehr wusste, was er eigentlich wollte. Meine lieben Untertanen, ich muss eusch hiermit kundtun, entweder heiratet mein Sohn morgen oder auch nit. Entweder oder. Und Magda, entweder oder, ein anderes gibt es nicht. König Peter war fertig mit der Welt, Isch habe Angst vor so villen Mensche zu rede. Die Sitzung ist beendet. Magda wiederholt mit einer strengen Aussprache. Ja, die Sitzung ist beendet. Und König Peter wird wieder in Leonce verwandelt. Steht im Kreis mit dem Rücken zum Publikum.

Von einem Kinderl, das in der Wiegen liegt.

Das Licht geht zum Bühnensteg. Wer kommt nun, Prinzessin Lena. Wunderschön, wie sie heute ausschaut. So lieblich. Den weißen Blütenkranz auf dem Kopf. Und sie geht langsam, ein wenig scheu Richtung Leonce. Stellt sich auf die Seite ihrer Zofe. Magda hat sich in Lenas Zofe verwandelt (ohne Tic). Magda reicht Lena ihre Hand, möchte, dass Lena die ihrige nimmt. Doch Lena traut sich nicht. Sie versucht es und zieht ihre Hand wieder zurück. Ein paar Mal. Lena, mein Kind, Sie sehen so schön aus. Und morgen werden Sie mit Prinz Leonce vermählt.

Doch Lena möchte nicht, in einem Wiener Dialekt spricht sie, was soll ich mit einem fremden Mann, den ich nicht einmal kenne, wie soll ich ihn lieben. Und die Zofe, ach Lena, das macht doch nichts, die Liebe kommt von ganz alleine. Leonce steht immer noch mit dem Gesicht zur Wand. Sein Schatten spiegelt sich vor Lena. Ein schönes Bild. Und Lena singt ein schönes, fast schon trauriges Lied. Von einem Kinderl, das in der Wiegen liegt. Doch heiraten möchte sie nicht. So traurig geht Lena eine Ode an die Freude singend (fast schon ein wenig schrill) von der Bühne. Doris als Lena hat mich verzaubert. Bei diesem letzten Auftritt hat sie alle anderen übertrumpft.

Leonce, hier bin ich.

Valerio hat sich in der Zwischenzeit in Rosetta verwandelt. Und Leonce sinniert wieder. Magda ist wieder Magda und sagt zu Leonce, mein Prinz, morgen werden sie Prinzessin Lena heiraten. Und mit der Heirat werden Sie auch gleichzeitig zum König gekrönt. Das ist doch wunderschön. Doch Leonce ruft nur nach seiner Rosetta, seiner großen Liebe. Und sie kommt, sie steht vor dem imaginären Spiegel, richtet sich ihre Haare. Zieht ihr imaginäres Kleid aus, so sexy. Und geht zu Leonce.

Säuselt, ja Leonce, hier bin ich. So geht das Liebesspiel hin und her. Magda steht immer noch entrüstet an der Seite. Magda, was wollen Sie noch? Rosetta, begleite doch Magda hinaus. Magda sitzt wieder auf ihrem Stuhl, weiter mit ihrem Tic und ihrem Händespiel beschäftigt. Rosetta springt in Leonce Arme. Er nimmt sie hoch. Sie schwingt ihre Beine um Leonce Körper. Und Leonce wiegt Rosetta hin und her. Doch auf einmal lässt er sie fast auf den Boden fallen. Er möchte sie nur noch als Leiche lieben. Das findet er erotisch. Und Rosetta, sie ist schockiert und geht von Leonce fort. Zieht sich traurig ihr Kleid wieder an und geht Richtung Stuhl.

Wir fahren nach Italien.

Leonce wieder allein. Er sinniert. Und er will kein König werden. Er möchte etwas erleben. Aber was? Er ruft Valerio. Rosetta hat sich wieder in Valerio verwandelt. Valerio, wie geht noch mal das schöne Lied, das du gesungen hast. Komm, wir wollen es singen. Wir wollen fort von hier. Und Valerio, wo möchtest du hin, vielleicht nach Kölle? Leonce: Nein, das ist zu nah. Irgendwo anders hin. Valerio, ich weiß wohin, wir fahren nach Italien. Beide singen nun das Lied von der Fleig und gehen Richtung Italien.

Magda sitzt immer noch mit ihrem Tic und dem Händespiel auf ihrem Stuhl. Es ist faszinierend, wie sie es die ganze Zeit schafft, dieses Spiel beizubehalten. Das Licht wird immer dunkler. Doch Magdas Tic hört nicht auf. Grandios. Dann Dunkelheit. Eine Zeitlang. Wunderbar. Das erste Klatschen. Beifall, Hurrarufe. Und beim Scheinwerferlicht kommen die Darsteller auf die Bühne. Einer nach dem anderen. Genießen den Applaus. Und ich hole die gelben Rosen und gebe jedem 2 Stück als Dankbarkeit. Für diesen wundervollen Abend.

Diese offene Probe – ein großes Erlebnis.

Ich habe drei Vorstellungen gesehen. Als Teilnehmerin des Schauspielunterrichts interessiert es mich sehr, wie sich die Ensemblearbeit entwicklet. Und jedes Mal war es eine Steigerung. Aber diese in der letzten Vorführung war einfach grandios. Vor allem die Veränderung der Kostüme. Leonce mit dem weißen Oberhemd, Magda mit dem sexy durchsichtigem schwarzen Rock.

Allen die daran beteiligt waren meinen besten Dank. Ich komme wieder. Immer wieder.

Herzlichst

Gabriela