Atem- und Sprechtraining mit Wolfgang.

Neugierig war ich auf das Atem- und Sprechtraining, auf das was auf mich zukommt. Unter dem Begriff Sprechtraining konnte ich mir bis zu dem Termin mit Wolfgang nur wenig vorstellen. Ich dachte bei diesem Begriff immer an Kinder, die es noch nicht richtig gelernt hatten sich mit Sprache auszudrücken. Bei Erwachsenen kam mir der Gedanke an Menschen, die einen Sprachfehler hatten, oder in schwierigen Situationen ihre Stimme verloren.

Ich selber hatte keines dieser Probleme. Als ich so darüber nachdachte, viel mir auf, dass ich in meinem Leben meiner Stimme selten Aufmerksamkeit schenkte. War sie mir doch recht angenehm beim Sprechen, beim Hören auf einem Tonband jedoch sehr befremdlich. Ein bekanntes Phänomen.

Stimme zu hell.

Einzig die Klangfarbe rückte schonmal vor einigen Jahren in den Mittelpunkt meiner Wahrnehmung: Mitmenschen bezeichneten meine Stimme als übermäßig hell, oder gar unmännlich. Sogar bei Telefonaten mit mir unbekannten Angerufenen wurde ich häufig zuerst mit „Frau“ Wester angesprochen, als ich mich gemeldet habe. Auf Dauer ein ziemlich störender Zustand, da ich dieses Missverständnis fortwährend korrigieren musste. Nach einer Weile jedoch achtete ich automatisch darauf am Telefon dunkler und damit auch autoritärer zu wirken. Im Grunde verstellte ich meine Stimme um für die anderen „richtig“ zu klingen. Ein Zustand, so denke ich heute, der in mein Unterbewusstsein übergegangen ist. Seitdem habe ich bei Telefonaten keine Probleme mehr.

Orte ändern sich – Menschen und ihre Rollen auch …

Doch zurück zu meinem Termin mit Wolfgang. Der Ort des Sprechtrainings, der Pavillon, war mir wohl bekannt. Als Regieassistent war ich dort schon bei so mancher Probe des Ensembles dabei gewesen. Dieses Mal war jedoch alles anders. Der Arbeitsraum von Wolfgang, der sonst bei den Proben voll mit Theater-Menschen war und damit einer gewissen Dynamik anheim viel, wirkte nun ziemlich leer auf mich. Einzig Wolfgang saß dort und ein zweiter Stuhl stand, in einigem Abstand zu ihm, fast mittig im Raum. Ich schaute von meinem Platz aus ins Grüne nach draußen.

Nicht nur der Raum war anders. Wolfgang hatte sich ebenfalls verändert. Er war nun nicht mehr der Spielleiter eines Ensembles, sondern ein Mensch, der mit mir das Sprechen üben wollte. Auch wenn ich es nicht genau in Worte fassen kann, war mir schon bei der Begrüßung bewusst, dass er für die kommenden fünfzig Minuten unseres Termins eine andere Rolle einnahm.

Er kam dann auch schnell zur Sache. Ich sollte ein Gedicht vorlesen, dass er bereits vorher in einem anderen Zusammenhang auf Tonband von mir gehört hatte. Ich begann also die Zeilen nach meinem Verständnis für Betonung, Geschwindigkeit und sprachlicher Ästhetik vorzulesen; teilweise sogar mit viel Pathos heraus zu schmettern.

Ich bemühte mich redlich, setze alles ein an sprachlicher Gewandtheit, die ich besaß. Wolfgang schaute mir dabei ungerührt zu, beobachtete mein ganzes „Spiel“ sehr genau und achtetet dabei auf meinen ganzen Körperausdruck. Nach einer kurzen Weile unterbrach er mich. Mir war klar, dass ich nicht das erreicht hatte, was ich wollte, nämlich ihn für den Text zu faszinieren.

„Erzähl mir den Text, mach ihn interessant für mich!“

Er gab mir die Aufgabe, den Text nun so vorzulesen, als wenn ich ihm damit eine interessante Geschichte erzählen wollte. Ich sollte ihn dabei direkt ansprechen, d.h. seinen Namen am Ende eines jeden Satzes einzubauen. Ich begann damit und siehe da, Wolfgang war nach kurzer Zeit Feuer und Flamme für das, was ich da sagte. Er ging bei jedem Satz richtig mit. Seine Mimik verriet, dass er mein Sprechen nun genoss und den Inhalt des Textes nachvollzog. Für mich war diese Art einen Text „vorzutragen“ eher befremdlich und teilweise recht schwierig.

Ich musste bewusst auf die richtige Betonung achten und verlor dabei manchmal den eigentlichen Text aus den Augen, oder vergas ihn sogar. Es waren mir einfach zu viele bewusste Entscheidungen während eines so unbewussten Vorgangs wie dem Vorlesen, die ich treffen musste. Nach einiger Zeit und vielen Wiederholungen bekam ich jedoch ein ganz anderes Gefühl für den Text und ich wurde freier in meinem Ausdruck. Am liebsten hätte ich mich ganz von dem Text gelöst und Wolfgang nur noch die Geschichte im Groben mitgeteilt, jedoch bemühte ich mich, die Haftung an die Lektüreseiten nicht zu verlieren.

Atmung ist das Wichtigste.

Eine weitere Komponente in der Arbeit mit Wolfgang kam hinzu. Er bemerkte, dass ich vor jedem Satz unnatürlich stark einatmete, dabei aber nicht wirklich lange Luft hatte um bis zum Ende zu kommen. Eine Tatsache, die mir beim Singen auch schon aufgefallen war. Ich erinnerte mich an Träume der Sprachlosigkeit, in denen ich Dinge aussprechen, oder sogar herausschreien wollte, ich jedoch keinen Ton dabei heraus bekam. Eine Ohnmacht befiel mich in diesen Träumen, eine Ohnmacht der Hilflosigkeit meinen Schmerz, warum auch immer er da war, nicht kommunizieren zu können. Ich öffnete meinen Mund, sog alle Luft in meiner Umgebung ein, strengte meine gesamte Brustmuskulatur an und versuchte zu sprechen – es klappte jedoch nicht. Wenn ich dann schweißgebadet aufwachte, musste ich erstmal ein Wort aussprechen um zu prüfen, ob ich meine Sprache wiedergefunden hatte.

Wolfgang erkannte mit seiner Gabe die Menschen zu lesen diese Problematik indem er mich auf mein Atemproblem ansprach. Vermutlich liegt dem ein Trauma zugrunde, dass noch nicht verarbeitet wurde. Um dieses Problem aufzulösen, sollte ich erstmal lernen bewusst richtig zu atmen. Nicht zu viel Luft am Anfang eines Satzes einatmen, die Lippen und die Zunge auf eine spezielle Art zu bewegen und einzelne Buchstaben je nach Stellung der Lippen auszusprechen. Auch dies viel mir am Anfang schwer. Atmen passiert so unbewusst, dass es doch einer massiven Umgewöhnung bedarf diesen Vorgang sich bewusst zu machen. Wolfgang hatte viel Geduld mit mir. Immer wieder machte er mir die Übungen vor, gab mir Tipps zum besseren Gelingen und schulte damit auch meine eigene Wahrnehmung.

Ich habe Dich verstanden!

Am Ende waren die fünfzig Minuten rasend schnell vorüber. Ich fühlte mich sehr erholt, als ich den Pavillon verließ – erholt und aufgehoben. Ein tiefes „verstanden worden sein“ erfüllte mich, obwohl ich kaum etwas mit Worten von mir erzählt hatte.

Danke lieber Wolfgang!