Es gibt ein neues Format im Theaterlabor Traumgesicht: die Sneak Reviews. Aus dem riesigen Fundus von Filmaufnahmen all der Stücke, die im Theaterlabor in den letzten Jahren auf die Bühne gebracht wurden, hat Gianni mit viel Mühe und Freude Filme zusammengeschnitten, die jetzt jeden letzten Donnerstag im Monat gezeigt werden. Ich war bei den ersten beiden Vorführungen und bin unglaublich begeistert von dem, was ich dort gesehen habe. Deshalb möchte ich davon erzählen und auf die nächsten Filmabende neugierig machen.
Innige Beziehungen
Der erste Film zeigte Ausschnitte aus “Szenen aus anderen Blickwinkeln”, einer Inszenierung natürlich ganz im slow-acting Stil. Vier Teilnehmer*innen bewegten sich rhythmisch, in geheimnisvoller Choreografie, mit verfremdeter Gehweise auf der Bühne. Sie hielten jeder ein Alltagsobjekt in der Hand (Bratpfanne, Kästchen, Kelch und Fingerhut) und erzählten im Monolog an das Publikum gewandt, von der ganz besonders innigen Beziehung zu ihm.
Eine Beziehung, die wie zu einem Fetisch, einen liebevollen und beinahe suchtartigen Charakter hat. Es gab lediglich ein einziges Mal einen Dialog zwischen zwei Protagonisten. Dieser gelang nur über das Interesse an dem Gegenstand des anderen und führte nicht zu einer wirklichen zwischenmenschlichen Begegnung. Das Objekt schien das Einzige, was zählt. Es erlaubte die Empfindung von Glück und alles sonst was es an Widrigkeiten gab.
Die absurden Objekte, das langsame Kreisen der Figuren auf der Bühne, ihre Mimik, der innige Umgang mit dem Requisit, die deutliche Sprechweise: all das hinterließ bei mir einen tiefen Eindruck. Wunderbares absurdes Theater!
Die Kraft und Bedeutung des Wartens auf ein Sehnsuchtsobjekt
Durch die langsamen Bewegungen, Handlungen und Gebärden der Schauspielerinnen, die Stopps und eine unglaubliche Bildästhetik entwickelte sich eine Geschichte, deren Tiefgründigkeit und Komplexität im anschließenden Zuschauergespräch zum Ausdruck kam. Die Stärke der Imagination, mit der die Realität nicht mithalten kann, bzw. nur zu enttäuschen vermag.
Die übergriffige Bindung einer älteren Frau an die jüngere. Wie eine Mutter, die nichts mehr fürchtet als den Verlust ihrer Tochter durch eine Liebesbeziehung. Bei ihr gibt es biografische Verletzungenh durch fehlende Liebe der Eltern, die sie Liebe nicht ertragen lässt, bzw. nur die lieben kann, die jemand anderen liebt. Bemitleidenswert, beschützend und grausam gleichzeitig.
Die Stärke und Schönheit der jüngeren Frau in ihrem angeblichen Wahnsinn und ihre Wandlung nachdem sie ihrem Geliebten begegnet ist und ihn doch nicht gesehen hat. Der junge Mann, stark und schwach zugleich, ohne eine Chance auf eine reale Begegnung, bzw. auf reale Existenz. Ein Traumobjekt, ein Trugbild?
Dieses Spiel hat mich sehr berührt und wohl auch alle Anwesenden. Als der Film beendet war breitete sich Stille aus, die nur zögerlich durch Applaus beendet wurde. Noch lange danach suche ich nach Worten, die diesen tiefen Eindruck beschreiben. Der Film zeigte ein ausdruckstarkes, bildgewaltiges Theaterstück in dem die Schauspieler mit jeder Bewegung und jedem Blick eine Geschichte erzählen. Durch die Langsamkeit und alle Stilmittel des slow-acting bildete sich für mich so etwas wie ein visuelles Konzentrat, das Auge und Ohr aufnimmt und direkt ins Herz geht.
Ich freue mich auf die nächste Vorführung.
Sigrid Loose-Abendroth
guten abend … leinwandkino und kopfkino leben eine wundersame beziehung … und was da alle so ausgetauschte werden kann … filmrisse können auch eine wohltat sein … mit achtsamen wünschen martin
Hallo Martin, freut mich, dass Dich der Blogbeitrag motiviert hat zu reagieren. Hoffe Euch geht es gut mit einem herzlichen auf bald …
Gianni
Liebe Sigrid Loose-Abendroth,
vielen Dank für den brillant formulierten Beitrag. Ich freue mich über Menschen, die sich so viel Mühe geben, das Werk anderer wohlwollend zu beschreiben.
Dies scheint im Mainstream verloren gegangen zu sein. Deshalb bin ich sehr froh, die Theaterlaboranten für mich entdeckt zu haben.
Obwohl zugegeben, pass ich nicht wirklich gut hinein – ich gestehe, ich bin im Grunde meines Herzens die Tochter von Heidi Kabel und Willi Millowitsch. Oder deren Bild, dass ich als Kind aus den Fernsehübertragungen gewonnen habe. Und so möchte ich es aktuell auch halten. Ich bewundere jeden, für seine hohe Kunst, habe aber selbst unbändige Freude am Rumalbern, Pfützenspringen und Tagträumen. Dafür war in meiner Kindheit mit einer unfassbar traurigen Mutter einfach kein Platz.
Dies hole ich jetzt nach und möchte auch jeden anderen dazu auffordern, den alten Panzer abzustreifen und die Schönheit des Lebens in jeder Kreatur, angefangen bei Dir selbst, zu erkennen.
Allerseits ansteckende Lebensfreude wünscht
Die Klimawandlerin
Katja Ruth
Liebe Katja,
ganz herzlichen Dank für deinen wertschätzenden Kommentar. Ich freue mich, dass dir der Beitrag gefallen hat und dass es dir im Theaterlabor gefällt und du Spiel – und Lebensfreude dort finden und umsetzen kannst.
Ich empfinde oft ähnlich.