Es war ein ganz besonderes Ereignis

Szene aus dr Tor und der Tod mit Wolfgang Keuter und Sigrid Abendroth

Am Samstag, den 11.Juli, hat sie stattgefunden und sie ist gelungen, unsere erste Aufführung in Corona-Zeiten. Eine Szene aus anderen Blickwinkeln von „Der Tor und der Tod“ nach Hugo von Hofmannsthal. 20 Gäste durften im Bühnenraum Platz nehmen, Hygieneregeln galt es einzuhalten und auf Abstand zu achten. All dies ist uns gut gelungen.

Hinter uns lagen lange Wochen des Probens, unterbrochen vom Lockdown, in dem wir nur auf Distanz üben und Text lernen konnten. Als dann endlich ab Ende April wieder gemeinsames Schauspieltraining im TheaterLabor möglich war. Also arbeiteten wir mit dem Ensemble aus Doris, Wolfgang und mir und mit Gianni für Bühnengestaltung Lichtregie, Kostüm, Maske und weiter. Malte half Gianni engagiert mit bei Technik und Licht. Wolfgang war jetzt Spielleiter und Schauspieler gleichzeitig.

Das Zeigen einer Figur auf der Bühne ermöglichen

Fleißig übten wir die Techniken des Slow Acting:

  • Körperausdruck, natürlich mit Gebärdeneinsatz
  • Stimm- und Sprachgestaltung: auf der Grundlage der Zwerchfellatmung atemrhythmisches Sprechen und Gliedern eines Satzes, Vokalgesang mit Einsatz des Gelenktanzes.

Diese Übungen dienen dazu die Techniken zu beherrschen, die uns das Zeigen einer Figur auf der Bühne ermöglichen. Für mich war es ein besonders bewegender und herausfordernder Probenprozess:  Ich durfte als „Claudia“ im Stück die „Törin“ darstellen. Mitspieler*in waren Wolfgang als der Tod und Doris als Mutter.

Gianni als Kostüm- und Maskenbildner suchte und fand unermüdlich neue Kostüme für uns drei, denn die Figuren wandelten sich im Verlauf immer wieder in eine andere Personen mit neuer Geschichte und damit neuem Gewand.

Worin bestanden die Herausforderungen und was habe ich gelernt?

Spannend und herausfordernd war nicht so sehr das Lernen des langen gereimten wunderbaren Textes von H. v. Hofmannsthal, sondern vielmehr das Verinnerlichen und Ausdrücken des Sinns. Den Text so sprechen, dass es nicht wie das Aufsagen eines Gedichts klingt, sondern wie Worte, die der Figur eben jetzt einfallen, im Monolog wie im Dialog mit dem Gegenüber. Dazu helfen sollten der Einsatz von Atempausen, Stimmmodulation, Abspannen der Endkonsonanten, usw. Aber das gelang mir zunächst nicht gut. Jetzt im Nachhinein verstehe ich, was mich immer wieder scheitern ließ: ich habe mich zu sehr auf die Worte, die Sprache verlassen, um die Aussagen des Textes und meine Figur zu verstehen. Aber es gibt ja die Figur hinter der Sprache. Sicher, der Text führt mich in eine andere Wirklichkeit, das ist für mich immer wieder das Spannende. Aber in dieser Wirklichkeit, die der Dichter eröffnet, muss gelebt werden. Also brauchte Claudia eine Biografie und eine Welt oder Umgebung, aus der heraus sie auf die Bühne tritt. Wolfgangs Übung des Biografiestuhls und seine Fragen an die Figur halfen mir bei der Einfühlung in eine Lebenswelt von Claudia. Das reichte aber noch nicht. Ich hörte das in den Rückmeldungen und merkte es, als die gemeinsamen Proben mit Wolfgang als Tod auf der Bühne begannen.

Lockend und provozierend

Szene aus der Tor und der Tod mit Wolfgang Keuter und Sigrid Abendroth

Mit Wolfgang als Spielpartner auf der Bühne stehen zu dürfen, das hat mich gefreut aber anfangs auch ein wenig gehemmt. Ehrfurcht und eine gewisse Scheu blockierten „Claudia“ zunächst. Sie fürchtete sich zu sehr und konnte ihn zunächst kaum ansehen oder direkt ansprechen. Aber Wolfgang als wunderbarer Spielpartner lockte und provozierte sie. Sein Tod war nicht furchterregend, sondern nur etwas provozierend, auch lockend, sanft und ironisch, aber unerbittlich.  Und so wagte meine Claudia immer mehr Kontakt mit dem Tod. Neben Furcht zeigte sie jetzt Widerstand, Flehen, Neugier und Akzeptanz.

Szene aus der Tor und der Tod mit Doris Horn und Sigrid Abendroth

Ich begann diese Auseinandersetzung auf der Bühne zu lieben. Erst durch die Interaktion mit dem Tod wurde Claudia richtig lebendig. Und endlich bekam ich die Rückmeldung: „Jetzt ist auf der Bühne die ganz Zeit eine Claudia zu sehen“.  Im Verlauf der letzten drei Proben steigerte sich meine Spielfreude, weil ich einen Zugang zu Claudia und zum Tod, genauso wie zu ihrer Mutter, gefunden hatte. Doris verkörperte die Mutter mit ihrer warmen Stimme, so klagend aus dem Jenseits kommend, auch ganz wunderbar. Mir machte es Freude, als Tochter Claudia spontan mit Eigentext auf sie zu reagieren.

Nicht völlig in Gefühlen aufgehen

Ich lernte und spürte, dass sich ganz besonders durch die Interaktion mit dem Gegenüber die Identität der Figur ausformt. Einen wichtigen Beitrag hierzu leistete auch das schlichte Kostüm mit schwarzer Kurzhaarperücke, das Gianni für Claudia gefunden hatte. Ich fühlte mich wohl darin.

Vor der Aufführung dann noch eine wichtige Botschaft von Wolfgang: „während der Proben könnt ihr euch mit eurer Figur identifizieren, bei der Aufführung sollt ihr sie aber zeigen“.

Eine Figur zu zeigen heißt, nicht völlig in ihrem Gefühl aufzugehen, sondern eine gewisse beobachtende Distanz zu wahren. Es gilt mit dem Körper und den Gebärden sowie der Stimme z.B. Furcht oder Wut zu zeigen. Dazu helfen die Stilmittel.  Das Zeigen oder Verkörpern hat eine Ausdrucksrückwirkung auf das emotionale Erleben, verhindert aber das völlige Verschmelzen mit der Figur. Und das ist wohl die Schauspielkunst.

Letzte Vorbereitungen

Dann kam endlich der Tag der Aufführung. Ich freute mich sehr darauf. Im Theaterlabor war von Gianni und Antje alles wunderbar für den Empfang der Zuschauer vorbereitet worden. Malte schraubte noch einmal an den Scheinwerfern um das optimale Bühnenlicht zu realisieren und sorgte dann verlässlich für die Licht- und Tonregie während der Aufführung.

Im Bühnenraum schuf die Vergrößerung eines Bildes von Rolf auf dem Hintergrund der Bühne eine geradezu mystische Atmosphäre. Entstanden ist dies Bild in der Lockdown-Zeit. Er hörte ständig den Text, den ich Zuhause übte und ließ sich davon inspirieren. Das allererste Mal gab es so ein Bühnenbild im Theaterlabor Traumgesicht!

Im Maskenraum schlüpften wir in unsere Kostüme und ich genoss den Prozess des Schminkens. Die Schminkmaske, die Gianni gestaltet, ist für mich ein ganz bedeutsamer Beitrag zur Wandlung in die Bühnenfigur.

Der erste Auftritt

Sigrid Abendroth als Claudia, sie schält und ißt einen Apfel Sigrid Abendroth als Claudia, sie schält und ißt einen Apfel Sigrid Abendroth als Claudia, sie schält und ißt einen Apfel Sigrid Abendroth als Claudia, sie schält und ißt einen Apfel

Noch etwas Vorbereitung zur Lockerung von Stimme und Gemüt mit Wolfgang und dann begann die Aufführung. Ich fühlte mich freudig aufgeregt aber auch innerlich irgendwie ganz da. In der ersten Szene schält Claudia einen Apfel. Diese Handlung zu zeigen, half mir in die Figur und die Stimmung zu finden und mich einzulassen. Mein Erleben auf der Bühne fällt mir schwer zu beschreiben. Ich habe es genossen, die Claudia in ihrem Ringen mit dem Tod und mit ihrer Selbsterkenntnis zu verkörpern. Und ich war in Einklang mit ihrem Sterben, diesem Prozess, in dem sie endlich ihr Leben wirklich spürt: „erst jetzt, da ich sterbe, spür ich, dass ich bin“. Ein bewegender Moment und Schluss.

Als der Applaus erklang und wir uns die Hände reichten, war es spürbar: „wir haben es geschafft“! Ja, wir hatten es geschafft, die Zuschauer zu berühren. In den vielen Gesprächen und Rückmeldungen im Anschluss bei einem Glas Sekt wurde das bestätigt. Der Weg dahin, mit all seinen Höhen und Tiefen, hatte sich gelohnt. Ich war glücklich.

Unsere nächste Aufführung

Mit diesem Link erfährst du mehr über unsere nächste Aufführung am Sa 14.11.2020 von “Der Tor und der Tod”

Infobox Tor und Tod

Von Stillstand kann keine Rede sein

https://www.theaterlabor-traumgesicht-ev.de/schauspielstudium-mit-distanz/

Alleine habe ich die Bühne erobert