5 Figuren und ein Bühnenbild
Ein spannendes Projekt im Schauspielunterricht, an dem wir die letzten drei Monate 2023 gearbeitet haben, hat an einem Samstag im Dezember mit Filmaufnahmen seinen Höhepunkt erfahren. Den entstandenen Film könnt ihr in unserer Mediathek ansehen.
So hat es begonnen:
Ende August konfrontierten uns Gianni und Wolfgang im Schauspielunterricht mit einem Bühnenbild:
Ein Tisch, zwei leere Stühle und eine große Leinwand mit einem riesigen gemalten Auge lehnte – verkehrt herum – am Tisch.
Wolfgang meinte: „Lasst das Bühnenbild auf euch wirken und inspirieren und geht dann auf die Bühne und zeigt eine Figur, gestaltet eine kleine Szene in diesem Raum“. Meine Assoziationen: was ist richtig/was falsch – Wirklichkeit oder Scheinwelt,………..???
Das Thema „Schein oder Sein“ begann sich in mir zu entwickeln. Und dann kam ich auf eine sehr schmerzliche Scheinerfahrung für eine Frau: eine Scheinschwangerschaft. Am Montag danach hing die Leinwand mit dem Auge richtig herum an der Bühnenwand. Davor der Tisch und die Stühle. In mir entstand das Bild einer Installation in einem Museum.
Ich ging mit einem Prospekt in der Hand auf die Bühne. Meine Figur war jetzt eine sehr intellektuelle Frau, Frau Prof. Carina Meyer-von Zurbrüggen, Professorin für Philosophie, ledig und um Selbstkontrolle bemüht – wie sie auf dem Biografiestuhl deutlich zum Ausdruck brachte. Sie schaute auf das Auge und wurde plötzlich überschwemmt von einer Erinnerung, die mehr als 20 Jahre zurück lag. Tief berührt erzählte sie von ihrem großen Kinderwunsch damals und der Freude über das Spüren einer Schwangerschaft, die sie so lange ersehnt hatte. Sie spürte kleine Kindsbewegungen in ihrem runder werdenden Bauch. Also ging sie zum Arzt für die erste Ultraschalluntersuchung und dann: der Arzt untersuchte sie, sah sie mit einem kalten, skeptischen Blick an und sagte:
„Ich sehe nichts, sie sind nicht schwanger, Diagnose Scheinschwangerschaft!“.
Tief erschüttert verließ sie die Praxis, fasste den Entschluss, alle Energie in die Arbeit an der Uni zu stecken und ihre Gefühle unter Kontrolle zu halten. Nur manchmal, wenn sie eine Studentin oder einen Studenten sah, so klug und hübsch, dann kam der Gedanke: „Ach, das könnte jetzt mein Kind sein“ – und der Schmerz stieg wieder in ihr auf. Sofort reagierte sie aber mit dem inneren Satz: „Reiß dich zusammen!“.
Diese Figur entwickelte sich in den vielen Übungsstunden mithilfe der Arbeit mit dem Biografiestuhl und anderen wichtigen Übungen, die Wolfgang zwischen unserer Szenenarbeit auf der Bühne mit uns machte. Dazu gehörten z.B.: das atemrhythmische Sprechen und Gehen, die Körperverfremdung, der Körperausdruck von Leichtigkeit oder Schwere, das Gestalten der Szene mit einem klaren Anfang Höhepunkt und Abschluss u.a.m. Und immer wieder der Hinweis: „lass´ dir Zeit für nonverbale Momente, die haben den stärksten Ausdruck“.
Dieses „sich Zeit lassen“ für Momente ohne Sprache habe ich beim Zuschauen der Szenen der anderen Figuren auch besonders stark erlebt und bewundert.
Am Samstag brachten wir alle dann 5 Szenen auf die Bühne. Sigrid Abendroth
Der Ruf der Amsel hell
Mit einem Requisit fing alles an. Ein Bild, auf dem ein geöffnetes Auge zu sehen ist. Sonst ist nichts auf der Bühne. Wem etwas dazu einfällt, geht auf die Bühne und zeigt es, sagt Wolfgang. Aha – Neugier, Zweifel ,ob etwas daraus entstehen kann. Es KANN…
Beim Betreten der Bühne scheint mein Kopf leer. Kein Plan, keine Idee. Ein Schnalzen mit der Zunge überbrückt die Leere – und wird mich fortan begleiten und ein Markenzeichen für meine Figur Nikki sein. Lass dir Zeit, höre ich Wolfgang geduldig sagen. Lass dir Zeit. Schreibt eure Geschichte… und ein Gedicht . Widerstand bei mir, wie so oft während dieses Projektes. Ich Realistin kann doch keine Gedichte schreiben. Doch, ich KANN. Eines Nachts war es da und blieb:
Graue Fassadenordnung – dunkle Ruhe zu still – Der Ruf der Amsel hell – wenn ich es will.
Meine Figur Nikki zeigt sich als Autist:in, männlich, weiblich, unerheblich. Mit der ihr eigenen Liebe zur Ordnung und Zeit und Ruhe. Mit krankhaften Bewegungen und Sprachstörungen. Das Auge reine Provokation, denn Nikki mag nicht angeschaut werden. Das alles weiß ich, nun gilt es, das auch dem Publikum so zu zeigen, dass es versteht.
Wer – wo – was – warum? Das muss klar sein, wiederholt Wolfgang streng.
Der Biografiestuhl kommt auf die Bühne und hilft, diese Fragen mir, uns, dem Publikum zu beantworten. Dann läßt er mich nicht mehr los, dieser Stuhl. Gibt Nikki die Sicherheit, all seine Einschränkungen ausleben zu können. Und ist Fessel zugleich, ich verliere den nötigen Raum, ein Qual für mich und das Publikum. Die mitfühlenden Rückmeldungen der Anderen machen mir klar, dass so allen und nicht zuletzt auch mir zu viel zugemutet wird.
In die Maske bitte
Die Rückkehr auf die Bühne ist unendlich befreiend und stimmig. Und dennoch war der Weg, so wie er sich für mich ergeben hat, der Richtige. Die Höhen, aber auch vor allem die Tiefen, mein Widerstand, das Verzagen und haben meiner Figur Ausdruck verliehen. Der Tag der Videoaufnahmen kam, und mit ihm mein Lampenfieber. Die Atmosphäre knisterte. Ging es den Anderen ähnlich? Stilleübungen , Tönen und Gelenktanz zu Beginn. Ein letztes Proben auf der Bühne und dann hieß es: in die Maske bitte ! Dort zauberte Gianni mit geübter, zarter Hand Züge in mein Gesicht, die mich verfremdeten und das Private in den Hintergrund treten ließen. Es gab nur noch Nikki.
Warten auf den Auftritt, geduldig sein, die anderen probten noch. Giannis Kameras warteten schon. Mikrofon an. Dann der erste Schritt auf die Bühne und Eintauchen in Nikkis Welt. Waren es nur 5 Minuten? Kein Zeitgefühl. Ganz Nikki. Und danach zutiefst berührt von dem Erlebten, in dem Moment und in den vergangenen Wochen.
Dankbar bin ich dafür, in dieser Gruppe zu sein, diese wohlwollende Feedback-Kultur zu erleben, die Intimität und diesen geschützten Raum zu haben zum Sein. Unendlich kostbar vor allem aber Wolfgangs und Giannis geduldige Unterstützung und ehrliche Begleitung. Antje Orentat
Die wilde Hilde
Vor ein paar Monaten begann alles mit einem Bild eines Auges, das verkehrt herum auf der Bühne stand. Dazu ein Tisch und 2 Stühle.
Wir waren einzeln auf der Bühne und haben uns von diesem Bild inspirieren lassen. Für mich entwickelte sich auf der Bühne die Rolle der wilden Hilde. Sie befindet sich in einem Sanatorium oder einer Nervenklinik und fühlt sich ständig beobachtet und eingeschlossen.
Hilde hatte gedacht, sie käme zu einer Wellnesskur und hatte sich so gefreut. Er (wer immer das sein mag) hatte ihr gesagt, Du machst jetzt ein bisschen Wellness. Pack Deine Tasche. Und dann ist sie in dieser Klinik gelandet. Sie fühlt sich eingeschlossen und beobachtet. Hilde spricht einen kölschen Dialekt und alles beginnt mit dem Satz: „Isch dachte, dat is jetzt Wellness… is et ever ja nisch…“ Dat is ja kein Wellness…“
Sie fühlt sich so eingeschlossen und rennt gegen imaginierte Wände… Im Laufe unserer Proben und Trainings haben wir die unterschiedlichsten Übungen gemacht, die wir dann in auf der Bühne umsetzen sollten. Eine Übung, wo wir uns in eins der Elemente einfühlen sollten, hat mich sehr berührt – das Feuer.
Bei der nächsten Session von Hilde auf der Bühne konnte ich dieses Feuer spüren in diesem eingeschlossenen Raum. Alles fühlte sich heiß an und es brannte in Hilde. Dieses Empfinden war sehr intensiv auf der Bühne.
Hilde singt gerne und mit einem alten Schlager „Butterfly, mein Butterfly…“ singt sie sich frei und fliegt gedanklich davon. Bei einer unserer Übungen sprach mich eine Butterflymaske an, die ich als Requisit benutzt habe und durch die ich auf dieses Lied kam. Viele Stimmübungen und das Erkunden der verschiedenen Klangräume im Körper sind hier so hilfreich und spannend.
In einer Session kam es zu einer Begegnung mit einer anderen Rolle, mit der Professorin. Es war gar nicht so einfach, uns da auf Augenhöhe mit unseren Rollen zu begegnen und uns immer wieder Zug um Zug auf die Emotionen und die Aktionen der anderen Figur einzulassen. Bei jedem Mal hat Wolfgang so gute Hinweise oder Tipps gegeben, die mich immer weiter gebracht haben im Erleben der Figur. Spannend war das auch jedes Mal, bei den anderen zu beobachten, wie sie sich weiterentwickelt haben, wie sie aus sich rausgekommen sind, wenn Wolfgang Hinweise oder Einwürfe gab. Das fühlte sich an wie ein Anfeuern und Befeuern, weiterzugehen, sich einzulassen auf die Emotionen und das Spiel.
Einmal war ich bei einer Situation auf der Bühne ganz raus aus meiner Rolle… mir fehlte der rheinische Dialekt, ich wusste nicht so richtig, wie die Aufgabe war… eine seltsame Situation. Hier kam Wolfang mit auf die Bühne und hat mir die Hand aufgelegt und mich zurückgeholt. Auch das war eine spannende Erfahrung. Jedes Mal haben wir soviel großartiges Feedback von unserer Gruppe bekommen. Ich habe hier soviel gelernt, wie man Feedback an eine Rolle gibt. Es war immer ein positives und vertrautes Gefühl in unserer Gruppe. Wir sind in diesen Monaten sehr zusammen gewachsen und unsere verschiedenen Rollen sind mir alle sehr ans Herz gewachsen. Am stärksten waren bei allen die Momente, wo sie sich ganz langsam im Sinne des Slow Play ganz auf die Emotionen und die Rolle eingelassen haben.
Dann hatten wir einen ganzen Tag als Workshop, wo Gianni unsere kleinen Performances mit Video aufgezeichnet hat. Gianni hat uns nacheinander in der Garderobe geschminkt. Das war ein ganz besonderer und fast intimer Moment und wir sahen alle so passend in unserer Rolle gestärkt aus. In der Performance auf der Bühne hat Hilde dann die Idee entwickelt, wie sie aus diesem Raum rauskommen kann, indem sie den Pfleger, der Frühstück bringt ablenkt und dann flieht. Mir selber hat es so gutgetan, aus dieser eingeschlossenen Situation rauszukommen.
Der Workshop war so intensiv und gleichzeitig so inspirierend. Ich hätte nie gedacht, dass ich traurig und gleichzeitig froh wäre, dass wir diese Reihe nun abschließen. Wir haben so viel gelernt und sind so toll als Gruppe zusammen gewachsen.
Bin sehr gespannt auf auf neue „Abenteuer“ und „Reisen“….
Wer ist Hilde?
Vor ein paar Monaten begann alles mit einem Bild eines Auges, das verkehrt herum auf der Bühne stand. Dazu ein Tisch und 2 Stühle. Wir waren einzeln auf der Bühne und haben uns von diesem Bild inspirieren lassen. Für mich entwickelte sich auf der Bühne die Rolle der wilden Hilde. Sie befindet sich in einem Sanatorium oder einer Nervenklinik und fühlt sich ständig beobachtet und eingeschlossen. Hilde hatte gedacht, sie käme zu einer Wellnesskur und hatte sich so gefreut. Er (wer immer das sein mag) hatte ihr gesagt, Du machst jetzt ein bisschen Wellness. Pack Deine Tasche. Und dann ist sie in dieser Klinik gelandet. Sie fühlt sich eingeschlossen und beobachtet. Hilde spricht einen kölschen Dialekt und alles beginnt mit dem Satz:
„Isch dachte, dat is jetzt Wellness… is et ever ja nisch…“ Dat is ja kein Wellness…“
Sie fühlt sich so eingeschlossen und rennt gegen imaginierte Wände… Im Laufe unserer Proben und Trainings haben wir die unterschiedlichsten Übungen gemacht, die wir dann in auf der Bühne umsetzen sollten.
Ein ganzer Tag mit Videoaufnahmen
Am stärksten waren bei allen die Momente, wo sie sich ganz langsam im Sinne des Slow Acting ganz auf die Emotionen und die Rolle eingelassen haben. Dann hatten wir einen ganzen Tag als Workshop, wo Gianni unsere kleinen Performances mit Video aufgezeichnet hat. Gianni hat uns nacheinander in der Garderobe geschminkt. Das war ein ganz besonderer und fast intimer Moment und wir sahen alle so passend in unserer Rolle gestärkt aus. In der Performance auf der Bühne hat Hilde dann die Idee entwickelt, wie sie aus diesem Raum rauskommen kann, indem sie den Pfleger, der Frühstück bringt ablenkt und dann flieht. Mir selber hat es so gutgetan, aus dieser eingeschlossenen Situation rauszukommen.
Der Workshop war so intensiv und gleichzeitig so inspirierend. Ich hätte nie gedacht, dass ich traurig und gleichzeitig froh wäre, dass wir diese Reihe nun abschließen. Wir haben so viel gelernt und sind so toll als Gruppe zusammen gewachsen. Helga Becker
Hinweis
Mit von der Partie waren Noah Mücke und Dominik Seisser. sie sind alle fünf auf dem Video zu sehen