Nicht vor Publikum, sondern als Stream

Die Vorstellung der Generalprobe von „Der Tor und der Tod“ spielte nicht vor Publikum, sondern kann als Stream angesehen werden. Gelingt es dem Theater, zuhause so zu wirken, wie live auf der Bühne? Eine persönliche Perspektive von Martin Pyka

Das TheaterLabor TraumGesicht hat einen riesigen Schritt gewagt, als es seine Generalprobe von „Der Tor und der Tod“ Anfang Dezember als filmische Version als Stream bereitstellte. Auf Vimeo gibt es den Film hier. Ein paar Tipps für das intensive Erlebnis stehen am Ende des Beitrags.

Ähnlich wie die Bühnenstücke, die von Arte und Co. aus den großen Schauspielhäusern übertragen werden, kann diese Ensembledarstellung jetzt weltweit, jederzeit angesehen werden. Im Gegensatz zu den großen Häusern, stehen dem TheaterLabor dafür aber keine riesigen Budgets zur Verfügung, die für die optimale Technik und eine Filmcrew sorgt. Mit Bordmitteln wagt es das Ensemble, einen Film zu produzieren, um sein Publikum in das Stück nach Hugo von Hofmannsthal mitzunehmen. Entstanden ist ein „Online-Theater“, ein Theater 2.0, bei dem der Inhalt vom TheaterLabor für das Publikum des TheaterLabors produziert wurde. Und gleichzeitig eine Gelegenheit, mit seinen Freunden ein Stück zu teilen (oder es zu schenken).

Der direkte Vergleich verführt

Bereits im Coronasommer 2020 hatten ein paar Gäste, darunter auch ich, die Gelegenheit, eine Vorführung einer früheren Version des Stücks anzusehen. Gewaltig war die dichte Atmosphäre, ein Spiel aus harten, klaren Spots und einem diffusen Hintergrund. Die Sprache, der Gesang donnerte durch den Raum, und das Bühnenholz knarzte unter den Schritten, während die Pailletten des Kostüms von Doris Horn als Mutter einen fast blendeten. Selbst der Tod war stets präsent, bewegte er sich doch, während er auf der Bühne erwartet wurde, im Publikumsraum. Es war schaurig, witzig, ergreifend.

Bei Computerspielwelten redet man von Immersion, wenn die Spieler in die virtuelle Welt „eintauchen“ und sich dort wähnen. Auch wenn man beim Theaterbesuch oder beim Film nicht selbst handelt, finde ich den Begriff recht treffend für das „Besondere“ beim Erlebnis einer Darstellung. Da drängt es sich auf, zu prüfen, ob ich filmisch genauso eintauchen kann, und ob die Kriterien es überhaupt zulassen, ein „Online-Theater“ mit dem Original zu messen.

Ich habe nie gelebt

Wie bereits im Sommer, hat die tiefe, melancholische Kontemplation der Claudia und ihre schockierte Verzweiflung mich auch diesmal volle Kanne erwischt. Im Angesicht des Unvermeidbaren diskutiert sie mit dem Tod, teils aus Überzeugung, teils – meine ich – um Zeit herauszuschlagen, um noch einmal für einen kurzen Augenblick auf der Bühne der Welt wirken zu können. Sich selbst hörend und von ihrer Stimme gerührt zu werden, weil sie doch vorher nie gelebt habe.

Der Text ist so stark, die Antworten des Todes so unerbittlich, und das alles in blühenden Versen. Ich hatte mir im Sommer gleich das Originalwerk gekauft (das zu meinem Erschrecken dann aber sehr viel umfangreicher ist und daher ein Urlaubsprojekt wird). Allein diese Verse haben es verdient, gehört und gestreamt zu werden.

Der geführte Blick

Eine Schauspielerin sitzt an einem Tisch. Vor ihr liegen ein paar herbstliche Blätter und eine Schale mit Äpfeln steht auf dem Tisch. Sie trägt eine Brille und zeigt einen fragenden Blick. Sigrid Abendroth als Claudia in Der Tor und der Tod.Der Rahmen wird einem durch die Kamera vorgegeben, daher sind wir am Anfang gezwungen, die apfelschälende Claudia zu fokussieren. Es gibt kein Bühnenbild, keinen Raum rechts und links. Jede kleinste Bewegung geht nur von der großartigen Darstellerin, Sigrid Abendroth aus. Bis die Sprache ganz zart erscheint. Später, als das Spiel dynamischer wird, tänzelt der Tod mit Claudia über die Bühne, teilweise sehen wir nicht die, die sprechen, sondern die Reaktionen der Mitspielenden. Die Betrachtung wird uns vorgegeben und lenkt den Blick daher auch auf Eindrücke, Mimik, die wir bei einer Bühnenaufführung nicht selbst gesehen hätten. Da wir diese Führung durch das Kameraauge vom Film schon lange kennen, ist es uns bekannt, machte es daher etwas aus?

Ja, es ist ein Unterschied zur Bühne, bei der ich mir manchmal eine Figur herausgreife, mich mit ihr verbünde und sehen will, wie sie gerade mit dem Trubel des Geschehens klar kommt, auch wenn sie keine Zeile hat. Da wird mir ein Stück Freiheit, ein Stück Verbindung genommen. Ich kann mir auch vorstellen, dass es sich sehr von einem Liveauftritt unterscheidet, statt vor Publikum vor einer Kamera zu spielen. Sigrid beschreibt die Entstehung des Films in Ihrem Artikel „Der Blickwinkel macht’s“.

Der Tanz des Todes

Ein Schauspieler mit stark geschminktem Gesicht zeigt einen betroffenen Ausdruck. Er trägt ein weißes Hemd eine dunkle Jacke und eine weiße Blume im Revier Wolfgang Keuter als Tod in Der Tor und der Tod.Der Spielfreude an sich und der Qualität der Darstellung tut dies jedoch keinen Abbruch. Zwar wirken die Stimmen manchmal aufgrund des Halls etwas distanzierter, aber Wolfgang Keuters „Tod“ zeigt, welche Wucht ein schallender Ausruf des Todes auch mich noch durch ein Kameramikrofon, durch eine Online-Leitung, durch meinen Fernseherlautsprecher auf meinem Sofa erreicht, sodass ich zusammenfahre. Doris Horns „Mutter“ ätzt virtuos schneidend in den Rücken der still ertragenden Claudia und versinkt dann in zart säuselnde Rückblicke. Die Zeit, die sich die Darsteller*innen nehmen, um ihre Gesten, Stimmungen und Figuren zu zeichnen und auszuzeichnen, ist wohltuende Abwechslung zu den meisten Filmen. Die Darstellungskunst des TheaterLabor Traumgesichts kommt auch hier rüber.Eine Schauspielerin steht im schwarzen Bühnenraum. Sie trägt eine rot-schwarze Pailletten-Jacke. Sie hat weiße Haare in einem modernem Schnitt und schaut mit auf den Boden geneigtem Blick nachdenklich in die Welt. Doris Horn als Mutter in Der Tor und der Tod.

Der Film ist kein bloßes Festhalten einer Aufführung. Die Darstellung des Blicks (besser, der Ausschnitt, oder die Kadrierung der Kamera) fließt in die Gestaltung ein, und das kann nur Film. Gianni Sarto sieht und setzt Scherenschnitte, Kontraste und sogar die Darsteller ein, um neue Bilder zu malen, die die Geschichte stützen. Als der Tod sich dem Spiel nähert, wird die Bühne von einer Silhouette verdunkelt, die das Omen heraufbeschwört. Diese fast ausfüllende „Körperblende“ für die Überleitung in die nächste Szene ist meisterhaft gelungen. Ebenso wie die Bilder des tanzenden Todes, der scherenschnittartig in einem Lichtspiel in Euphorie gerät.

Die eigene Verantwortung für das kulturelle Erlebnis

In einer Zeit, in der Kultur entweder abstrakt oder digital erlebt werden kann, bin ich dankbar ein Stück „meines Vereins“ erleben zu dürfen. Ich teile es und verschenke es zu Weihnachten an die, von denen ich weiß, dass sie kulturell genauso ausgehungert sind wie ich. Das kann man mit diesem Film getrost machen, auch wenn ein Bühnenstück immer andere Qualitäten haben wird.

Im Publikum erlebe ich den Raum anders, die Töne und die Vibrationen der Atmosphäre. Hier sorgt die Technik der Schauspielenden, die Lichtinszenierung und der Sound bequem für meine optimale Bespielung und Beschallung. Einen Teil davon muss man jetzt selbst erledigen, was durch ein paar Kniffe aber schnell gelingt.

Wie kommt das Theater in meinen Fernseher?

  1. Für die Rezeption Zuhause gibt es daher ein paar Tipps, wie man dem originalen Erlebnis ein Stück näherkommt: heutzutage gibt es sehr viele Möglichkeiten, diesen Stream auf dem Fernseher anzusehen. Mit Smart-TV, Google Chromecast, Apple TV oder Amazons Fire TV-Stick lässt sich die Vimeo-App herunterladen und nachdem man ein Profil eingerichtet hat, auch dieser Stream dort ansehen. Das ist ein Quantensprung für die Darstellung und lohnt sich schon deshalb, weil das Bild selbst bei riesigen Fernsehern exzellent aufgelöst ist.
  2. Damit einher geht meist schon der zweite Tipp, den Sound so schön wie möglich auszurichten. Die Facetten der Stimmen gehen durch einen quäkenden Handylautsprecher unter, was durch einfache Mittel behoben ist. Beim TV oder Computer gibt es sicher bessere Boxen, und wer dennoch nur Handy oder Tablet hat, der kann durch einen kleinen Bluetooth-Lautsprecher viel besseren Sound erreichen.
  3. Drittens, teilt, was das Zeug hält. Das geht auf dem Fernseher nicht, aber ist auf dem Handy schnell erledigt. Denn was gibt es Schöneres, als ein gemeinsames Erlebnis (auch virtuell) mit jemandem zu teilen? Auch das macht Publikum aus, und das anschließende Gespräch im Theaterfoyer kann ebenso per Skype geführt werden. Vimeo Video teilenViemo Film teilen!
  4. Letzter Tipp:  Darauf einlassen. Ich bewundere den Mut, die Geduld und die viele Arbeit, die das Ensemble in die Produktion gesteckt hat. Als Publikum brauchen wir nur die freudige Erwartung, uns von dem bezaubern zu lassen, was das Ensemble uns zeigen will. Auch wenn es schwerfällt, den Darstellern dann nicht darauf sofort applaudieren zu können. Diese Form der Anerkennung kann nicht durch einen „Like“ oder die vielen Kommentare unter dem Video ersetzt werden.

Wir können es vielmehr als Ergänzung sehen, bis die Zeit kommt, in denen Theatervorstellungen wieder vom virtuellen in den realen Raum treten.