Lars Wellings als "Lenz" auf schwarzer Bühne.Lenz mit Lars Wellings im Theaterlabor Traumgesicht

Nachdem ich “Lenz” von Büchner vor einigen Wochen im Schauspielhaus gesehen hatte (s. mein Blog vom 18.06.22) war ich sehr gespannt auf die Aufführung mit Lars Wellings in unserem Theaterlabor.

Alles anders im Bühnenraum

Und gleich zu Beginn die Überraschung: unser Bühnenraum war völlig umgestaltet. Die Stuhlreihen für uns Zuschauer*innen waren jetzt in jeweils 2 Reihen parallel zu den Bühnenraumwänden (anstatt wie sonst parallel zum Bühnenrand) angeordnet, dazwischen ein Gang freigelassen. Wir nahmen Platz, schauten in die Gesichter unserer Gegenüber. Gespanntes Warten und dann öffnete sich die Bühnenraumtür und der Schauspieler Lars Wellings kam herein, beladen mit einem Rucksack. Natürlich, denn Lenz befand sich ja Wanderungen in den Bergen.

Durch die ungewöhnliche Anordnung der Stuhlreihen war ein langer Gang entstanden, der zur Bühne oder zur Ausgangstür des Bühnenraums führte. Und diesen Weg, mit seinen unterschiedlichen Ebenen, Grenzen und Öffnungen nutzte Lars Wellings für das Zeigen von Lenz unruhiger Getriebenheit und Suche. Er hantierte mit einem Scheinwerfer, seinem Rucksack, einem Reclamheft. Und in jedem Hantieren mit den Requisiten kam diese verzweifelte Suche nach Ausweg und Halt zum Ausdruck. Der Vorhang im Bühnenraum wurde zurückgezogen und rasch wieder geschlossen, die Tür kurz geöffnet und rasch wieder geschlossen, das Licht des Scheinwerfers ein- und wieder ausgeschaltet. All diese Handlungen ließen die vergebliche Suche und die Angst des Lenz für mich spürbar werden.

Nachempfinden eines einsamen und zerrissenen Menschen

Wellings Lenz ließ mich auch dessen Einsamkeit nachempfinden. Ein ganz in sich verschlossener, einsamer Mensch.  Er kam uns durch die Anordnung der Stühle im Bühnenraum ganz nah, aber ein Kontakt entstand natürlich nicht. Wie war es wohl für den Schauspieler, so einen physisch nahen Kontakt zum Publikum zu haben? Ich frage mich auch, wie es für Lenz gewesen sein muss, der in seiner psychotischen Welt gefangen war und doch stets unter Beobachtung stand. Sogar in dem wohlmeinenden gütigen Pfarrer Oberlin fand er keinen stabilen Halt oder Trost.

Büchners Lenz

Büchner schildert in seinem “Lenz”  detailliert die innere Verfassung eines von Psychose/Schizophrenie gequälten Menschen. Voller Angst, Schlaflosigkeit, Wahnvorstellungen, zerrissener Gedanken, Lebensmüdigkeit und Realitätsverlust. Ein Mensch der nichts so sehr braucht wie Halt und Ruhe. Zeitweise findet er sie auf seinen Wanderungen und im Pfarrhaus des gütigen Oberlin, der sich aber auch als hilflos gegenüber dessen Selbstmordversuchen und Seelenqual erweist.

Dieses Drama verkörperte Las Welling eindrucksvoll. Eine wichtige Rolle spielten dafür die geschilderte Gestaltung des Bühnenraums, das Licht, die Requisiten. Alles zusammen war es eine gelungene Vorstellung. Am Ende erst einen Moment lang Stille, dann kräftigen Applaus und Bravorufe.

Wolfgangs Reaktion

Auch Wolfgang rief Bravo. Ich fragte, was ihn dazu bewegt habe. Hier seine Antwort:

Überrascht hat mich, dass trotz oder wegen sprachlicher Unvollständigkeit, vielleicht ist das Stilmittel, das zerrissene Innenleben der Figur Lenz in fast gespenstischer Weise den Raum füllte und miterlebt werden konnte. Die Figur des Erzählers dagegen gab Lars Wellings durch unterschiedliche Handlungen und Zeiten, z.B. am Scheinwerfer, Mikrofon, Rucksack….viel Raum. Eine Gegenfigur zu der Figur Lenz. Die intensiv wahrgenommenen unterschiedlichen Zeiten durch die Art und Weise der Darstellung beider Charaktere, haben Bravo in mir hervorgerufen.

Ein Künstlergespräch

Dann gab es noch ein “Sahnehäubchen”. Bei einem Glas kamen wir Zuschauer noch im Kasino zusammen und Lars Wellings gesellte sich zu uns. Er erzählte von seiner intensiven Einstimmung auf die Figur “Lenz”. So unternahm wie er, wie dieser, Wanderungen in den Vogesen und ließ sich von der Atmosphäre und dem besonderen Licht auf den Berghöhen berühren. Er besuchte auch das damalige Pfarrhaus des fortschrittlichen Pfarrers Oberlin, dessen Aufzeichnungen Vorlage für Büchners Theaterstück waren. Sein Interesse galt auch uns und es entstand ein interessanter Dialog zwischen dem Schauspieler und uns aus dem Publikum. So eine Nähe und Diskurs hatte ich noch nie erlebt und deshalb umso mehr genossen. Schön, dass das in unserem kleinen intimen Theater möglich ist.

Hinweis:

Am Sa den 12.11. gibt es noch eine Aufführung. Link zu mehr Infos.