Am Freitag (8.12), dem letzten Übungstag vor der öffentlichen Probe, haben wir einen Durchlauf von der König Peter Szene bis zur Abschlußszene gemacht. Das besondere war, dass wir diesmal wieder, wie schon beim vorletzten Übungstag die Position der Lena und Gouvernanten-Szene im Gesamtablauf umgestellt haben. Die Lena-Szene ist nun nicht mehr am Schluss, sondern in der Mitte unserer Aufführung. Sie schließt an die König Peter-Szene an und geht der Rosetta-Szene voraus. Das bedeutet auch, dass ich als Leonce die Bühne während des ganzen Stücks nie verlasse und zwischen der König Peter und der Rosetta-Szene Luft zum Durchatmen, Konzentrieren und Spucke sammeln komme. In der Lena-Szene stehe ich weiter als Leonce auf der Bühne im Seil-Kreis, diesmal allerdings mit dem Rücken zum Publikum. Lena steht vor Leonce und verdeckt ihn quasi mit ihrer Präsenz. Für mich war es besonders spannend zu beobachten, wie das Schattenspiel von Leonce und Lena an der Rückwand schon die Vereinigung der Beiden vorwegnimmt.

Im schwarzem Bühnenraum wirft ein Mann mit Lorbeerkranz ein weißes Seil

 

An diesem Übungstag ist mir besonders die Arbeit von Doris und Wolfgang in Erinnerung. Wolfgang hat Doris mit seinen Zurufen immer wieder dazu ermutigt sich völlig in die Figur der Lena hineinfallen zulassen. Die eigene Privatperson ganz zu riskieren. Und den emotionalen Ausdruck bis ins maximal Mögliche zu amplifizieren. So mit dem Rücken zu Lena stehend, im ständigen Gelenktanz bewegt, spürte ich wie es Doris zunehmend gelang, sich selbst ganz zu vergessen und in eine unglaubliche emotionale Tiefe hinabzusteigen. Das waren ganz besondere Momente für mich, die mir nachhaltig in Erinnerung geblieben sind und meine eigene Performance bei der öffentlichen Probe sehr inspiriert haben.

Im schwarzem Bühnenraum. Eine Frau schaut lachend nach links mit einer Puppe in der Hand. Die Frau trägt einen weißen und schwaren Schleier, die Puppe ein weißes Taufgewand

 

Im, ans Üben auf der Bühne anschließenden, reflektierenden Dialog am Vesper-Tisch brachte ich nochmal zur Sprache, dass ich mit meiner Darstellung des König Peter noch nicht im Reinen bin. Mir fehlt die Spannung, die Differenz zwischen den unterschiedlichen Stimmungen des Königs. Den eher arroganten, narzisstischen und machtbewussten Anteilen des Königs und seinen ängstlich, depressiven Anteilen. Im gemeinsamen Dialog tauchte dann die Idee auf, dass die überheblichen, lauten, aggressiven, sich über die Anderen stellenden Anteile, auch durch das im kollektiven Unbewussten vorhandene Bild des Führers im Nationalsozialismus, verkörpert werden könnten. Gedacht, getan. Sogleich sprang ich auf und probierte es aus. Wie wirkt König Peter als Abziehbild, als Parodie des diktatorischen Führers, der nach seinen Monologen immer wieder weinerlich und nach Hilfe im Außen (in Form der Hofdame Magda) suchend, in sich zusammenknickt? Und wie wirkt das Ganze, wenn jetzt auch noch der rheinische Akzent, quasi als „cherry on the cake“ hinzukommt? Die Wirkung war da. So könnte es gehen. Also nahm ich den Gedanken mit nach Hause, mit ins Auto, mit in den Schlaf und mit in den nächsten Tag hinein und schrieb den Text für König Peter um ins Rheinische. Aus „Meine Lieben und Getreuen“ wurde so „Ming leeve un Getreue“, und so weiter und sofort.

Das Alles geschah am Freitagnachmittag und zwei Tage darauf war dann auch schon unsere erste öffentliche Probe vor Publikum. An diesem Sonntag lief ich dann fertig geschminkt auf dem Flur entlang und sprach meinen Text immer wieder laut vor mir her: „All diese Genies, diese Helden, diese Dummköpfe, diese Heiligen, diese Sünder, diese Familienväter, sind doch …“. Immer wieder hörte ich dann als Echo meines Sprechenns Wolfgangs Stimme aus einem der andern Räume: „Um Gottes Willen, bloß nicht rezitieren!! Hört auf Eure Texte wie im Deutschunterricht in der Schule aufzusagen. Konzentriert auch viel mehr auf Euren Körper. Geht in die Sammlung.“ Ich hörte seine Worte, konnte aber dennoch nicht wirklich den Schalter umlegen. Umso besser, dass Wolfgang dies dann auch erkannt hat und Alle die schon fertig geschminkt waren in den Übungsraum bat. Wir sollten mit geschlossenen Augen, stehend, der Musik und dem eigenen Atem lauschen und dann ganz langsam in Bewegung kommen. Schauen was unsere Füße, unser Körper, unsere Arme für Bewegungen machen wollen. Das haben wir dann so ungefähr 20 Minuten getan. Es hat mir sehr dabei geholfen raus aus dem Kopf und hinein in den Körper zu kommen. Im Anschluss daran sollten wir uns dann noch für einige Minuten in den dunklen Bühnenraum setzen und dort weiter der Stille lauschen. Was für eine köstliche Stille.

Als dann ungefähr 1,5 Stunden später die Aufführung startete war ich ganz gelassen und angefüllt mit Vorfreude. Das Lampenfieber blieb aus. Ich genoss es auf der Bühne im Scheinwerferlicht zu stehen und mein in den letzten Monaten mit viel Fleiß und Disziplin antrainiertes, schauspielerisches Können zu zeigen. Ich fühlte mich sehr sicher. Da war keine Angst mehr, dass ich meinen Text vergessen könnte. Zu oft hatte ich ihn schon fehlerfrei aufgesagt. Es war ein sehr würdiger Höhepunkt eines für mich sehr intensiven Ensemble-Arbeit-Prozesses. Und ich muss ehrlich sagen, dass mir die Aufführung oder der anschließende Applaus keinen besonderen Adrenalin-Kick oder Sonstiges gegeben hat. Es war vielmehr Ruhe, Selbstbewusstsein, erlebte Stimmigkeit, Dankbarkeit für den Prozess und die liebevolle Betreuung bis hierhin durch Wolfgang, Gianni und meine lieben Ensemble-Kolleginnen. Ich danke euch und bin schon sehr gespannt darauf, wie wir von hier aus gemeinsam weitergehen werden.