Sie führen uns in circa 60 Minuten durch Fontanes „Effi Briest“
Erinnerung an die dialogische Lesung von Sigrid Abendroth und Wolfgang Keuter
Th. Fontanes Roman „Effi Briest“ am 8.12.2019
In der Einladung zu diesem Nachmittag war bereits ein Düsseldorf-Bezug erwähnt. Bei der Begrüßung erklärt Gianni ihn: der historische Anstoß für Fontanes Roman war
der Fall der Elisabeth von Ardenne, die mit ihrem Mann in Düsseldorf lebte und dort eine leidenschaftliche Beziehung zu einem anderen Mann einging. Der Ehemann forderte den
Nebenbuhler zum Duell, ließ sich scheiden und erhielt das Sorgerecht für die Kinder.
Das Schicksal einer 17-jährigen Adligen
Nun betreten Sigrid und Wolfgang die sparsam ausgeleuchtete Bühne. Von ihrer Kleidung her könnten sie gerade aus einem Café hier hereingeschneit sein – Sigrid trägt
ein dunkelblaues winterliches Etuikleid mit einer großen kreisrunden gelben Brosche und geht auf Ballerinas. Wolfgang erscheint in Jeans, lockerem Jackett über weißem Hemd.
Sie führen uns in circa 60 Minuten durch Fontanes „Effi Briest“, indem sie abwechselnd die von Sigrid mit äußerst präzisem Blick und viel Feingefühl zusammengestellten
Schlüsselmomente des Romans lesen. Das sind circa 60 Minuten Prosatext mit erzählendem Bericht, in den direkte, indirekte und erlebte Rede der handelnden Personen eingeflochten sind. Und es sind 60 Minuten Prosatext, in dem das Schicksal einer 17-jährigen Adligen zwischen der von ihrer Mutter arrangierten Verlobung mit einem doppelt so alten Mann und ihrem Dahinsiechen als etwa 25-Jähriger illustriert wird.
Gefangensein in gesellschaftlichen Konventionen
Für mich ist es erstaunlich, wie plastisch das Gefangensein in gesellschaftlichen Konventionen bei den handelnden und erleidenden Personen durch Sigrids und Wolfgangs lesendes Sprechen, sprechendes Lesen wird. So schlägt Sigrid einen schäkernden Ton an, in dem sie von Effis kindlichem Ungestüm spricht. Über das Schäkern aber legt sie ein wissendes Lächeln, das das Missverhältnis zwischen der von Effi zelebrierten Naivität und ihren durchaus vorhandenen Aufstiegswünschen entlarvt.
So legt Wolfgang dramatisches Ringen in seine Stimme, als er von Innstettens Entscheidung zum Duell mit seinem Nebenbuhler berichtet, und er trägt dabei so dick auf, dass mir Innstettens eigener Zweifel an seiner – danach auch eisern durchgezogenen – Entscheidung splitternackt vor Augen steht.
Diese ungemein gelungene Balance zwischen Identifikation und Distanz in Sigrids und Wolfgangs Sprechen – ich glaube, das ist es, was mir in diesen circa 60 Minuten ein so vom Grund her aufsteigendes Gefühl von Stimmigkeit vermittelt. Und das macht mich froh: schafft es doch in großer Dezenz einen vibrierenden Raum von Zwischentönen.
Ich war nicht da, allerdings kenne ich Sigrid und Wolfgang und durch Deine feinsinnige Beschreibung war es fast so, als wäre ich da gewesen. Regelrecht lebendig werden die beiden Leser und ich saß in der ersten Reihe. Vielen Dank für dieses Geschenk.
Und neugierig auf die Lesung hast Du gemacht. Ich werde auf jeden Fall versuchen die nächste Vorstellung nicht zu verpassen!
Liebe Barbara, ganz herzlichen Dank für Deine so wertschätzende und differenzierte Beschreibung unserer “Effi-Lesung”. Ich habe mich riesig darüber gefreut. Die Ausarbeitung und Lesung hat mir unglaublich viel Spaß gemacht. Nicht nur weil mich der Roman und sein Hintergrund fasziniert haben. Auch weil Wolfgang so gerne mitgemacht hat und unsere gemeinsamen Proben so entspannt und wie selbstverständlich verliefen. Schön, dass dann die Lesung gelang und so viel an Nachdenklichkeit und positiver Resonanz ausgelöst hat.
Liebe Andrea, auch an dich ein herzliches Dankeschön für deinen Kommentar. Ich freue mich, wenn wir uns am 29.2.20 bei der nächsten Effi-Lesung wieder sehen..
Ja, tu das – liebe Andrea – ich freue mich über deinen Besuch.
Bis bald, mit Gruß.
Wolfgang.
Barbara ach Barbara,
wie wundervoll differenziert du deinen Kommentar wortest, den zu unserer Lesung und wie aufmerksam du beobachtest und wahrnimmst, das es ein Genuß ist – – wieder einmal – – zu lesen was du schreibst und wie du schreibst.
Hallo, jedoch …. dick aufgetragen!! ???
Da schlucke ich. Ja tatsächlich.
Meine Lehrer an der Theaterschule (und ich übrigens auch) nutzen die Bezeichnung dick aufgetragen für Schmiere. Ohje so hast du es nicht gemeint.
Jedoch: wird mehr Kraft eingesetzt als nötig, haben wir es möglicherweise mit Schmierentheater zu tun, dick aufgetragen, das meint möglicherweise laienhaft, dilletantisch aber ……….
…….. wenn dafür Instetten in seinem quälenden Ringen, seiner Ambivalenz, splitternackt vor deinen Augen steht, na bitte! darf ich auch dieses Szene als gelungen betrachten?!
Ich freue mich auf das nächste Mal mit dir und von dir.
Herzlich. Wolfgang.
Ach, lieber Wolfgang,
Du vermutest ganz richtig, dass ich das “dick Aufgetragene” nicht so gemeint habe, wie es Dir zunächst erschien – nicht im Sinn eines Fachbegriffs aus der Theaterschule. Vielmehr als gelungene, ja, auch kraftvolle Nuancierung Deines Sprechens, mit der Du die Ironie des Erzählers angesichts der absurden Entscheidung, zu der Innstetten sich “durchringt”, verdeutlicht hast.
Und: nicht Innstetten, sondern sein ZWEIFEL an der eigenen Entscheidung (die er dann doch durchzieht), steht durch Dein Sprechen “nackt vor meinem inneren Auge”.
Ich gestatte mir zu dem “dick Auftragen” noch eine Assoziation – sie hat mit Deiner Präsenz als Lehrer und Regisseur zu tun: ich stelle das Gefühl meiner Bühnenfigur viel zu verhalten dar, was Dir natürlich nicht entgeht. In einem solchen Moment kommst Du meiner Hemmung zu Hilfe, indem Du lächelnd sagst: “Da darfst du ruhig ein bisschen dicker auftragen.” (Ich meine Deine Fähigkeit zum Entspannt-Saloppen im richtigen Augenblick, der ich sehr viel verdanke!)
In der Hoffnung, dass Du nun mit Genuss wieder etwas anderes schlucken kannst, sage ich noch, dass ich mich auf die nächsten Male freue.
Bis dann, mit einem herzlichen Gruß, Barbara