Warum ist der Rollentext so wichtig?
Ich werde oft gefragt warum es bei uns nicht ohne Rollentext geht.
Weil er aus dem privatpersönlichen Geschnatter, über den eigenen oft eng gewordenen Horizont hinweg in die schöpferischen, transpersonale Bereiche hinein führt.
Darum!
Rollentext ist wichtig!
Unerschöpfliche Gestaltungsvorgänge verbinden dich während des ganzkörperlichen Studiums mit dem Rollentext.
Der Rollentext muss ja nicht gleich auswendig gelernt werden. Im Slow Acting-Schauspiel Training am Dienstag überhaupt nicht und beim Slow Acting-Schauspiel Studium am Montag nur langsam, allmählich und während deiner Spiel-, Übungs- und Ausdrucksschulung. Er lernt sich dabei meistens ganz von Selbst.
Auf einmal sprichst du Worte, bildest Sätze, erfährst Inhalte die du sonst wohl nie gesprochen hättest, du beschäftigst dich mit Vorgängen mit denen du dich sonst wohl nie beschäftigt hättest. Du wirst mit Sinnen vertraut die dir sonst nie sinnlich geworden wären.
Und für viele Empfindungen die du bisher nur vage einordnen konntest, die stark sind und in dir wirken, für sie gibt es endlich Worte, Bilder, für sie kommen ordnende Assoziationen und konkrete Verkörperungen. Das befreit und erweitert dein seelisches und körperliches Bewusstsein, dein Erscheinungsbild und deine Ausstrahlung. Ohne das Eintauchen in einen Rollentext und das wieder Auftauchen als Figur wäre das in dieser Qualität nicht möglich.
Der Rollentext ist ein Urstoff
Jeder gute Dichtertext aktiviert andere Erfahrungen, andere Weisen von Spiel-und- Lebensfreude, Gestaltungsfähigkeiten, er aktiviert deine schöpferische Zeigekraft und bringt sie ins Fließen. Der Rollentext ist Urstoff und die Grundlage auf der du deine wirkliche und wesentliche Kompetenz erwirbst für die Slow Acting-Improvisation, für Übung, Ritual und seine Weise von Schauspiel.
Das meint durch deinen elementaren, spontanen und durch deinen ritualisierten, verfremdeten Ausdruck. Das sind zwei Bereiche die für das Slow Acting-Schauspiel zusammengehören.
Ein solcher Prozess ist wunderbar
Denn jeder Rollentext ruft in dir andere Empfindungen hervor, andere Assoziationen, Erinnerungen, Inspirationen, Spielhandlungen und Begegnungen.
Daran wächst du. Vor allem wenn er auswendig gelernt in dir, mit dir und durch dich neu entsteht. Vor allem auch wenn er JETZT – in diesem einen Augenblick – von dir aus deinem Zwerchfell geboren wird. Erlebe diesen Moment bewusst, er ist einzig.
Während dieser Geschehnisse entwickelst und differenzierst du dich persönlich und künstlerisch. Du wirst durchlässig für deine Präsenz.
Deine Präsenz auf der Bühne ist immer von großer Schönheit
Sein inneres und äußeres Handeln ist schöpferisch und mystisch. Es überschreitet die Sphäre des Alltags und dein zu einseitig auf die Außenwelt fixiertes Ich.
Der aktuelle Text von H. v. Hofmannsthal aus Der Tor und der Tod kann für dich und uns ein großartiges Experimentierfeld werden.
Angestrebtes Ziel ist: Szenen aus anderen Blickwinkeln zu entwickeln für die Lange Nacht der Theater am 20. Juni 2020.
Heute wünsche ich erst einmal dir und uns und allen Slow Acting-Theaterlaboranten starke, mystische Momente in dieser Weihnachtszeit und ein kräftiges und positives Orakel für ein Leben als Spiel im neuen Jahr 2020.
Wie sehr Schauspiel-Erfahrung Lebens-Erfahrung ist und wie die Lebenserfahrung sich durch das Gestalten von Rollentext strukturiert, erweitert und vertieft, das mölchte ich mit Ausrufungszeichen bestätigen.
Danke, lieber Wolfgang, für diese so einfachen und weitreichenden Worte!
Auch Dir wünsche ich eine gute Zeit zu Weihnachten und dem Übergang ins Jahr 2020. Barbara Butscher
Ja, lieber Wolfgang! Auch wenn das Textlernen mühsam ist, so stimme ich dir doch ganz und gar zu. Der Text des Dichters/Autors ist für mich elementar und ich lerne ihn sogar gern. Weil es dafür einen guten Grund gibt. Der Dichter trägt mich mit seinen Worten in eine neue Welt, eine neue Wirklichkeit- die es dann auf der Bühne zu zeigen gilt. Jedesmal ein Abenteuer, eine Herauforderung, mit dem gelernten Text in diese Wirklichkeit einzutauchen, sie auf der Bühne lebendig und sichtbar werden zu lassen. Wenn der Text sitzt, ist es als ob mir ein Kostüm oder Gewand so passt, dass es wie eine zweite Haut geworden ist. Ich schlüpfe hinein und bin eine andere. Ich kann mich darin bewegen und handeln, mich körperlich/mimisch ausdrücken, Gefühle zeigen und meinen Mitspielern auf neue Weise begegnen – nicht Kopf gesteuert, nicht mit den Gewohnheiten und Ritualen des Alltags.
Mir erschließt sich der Sinn des Textlernens völlig und ich erlebe gerade jetzt mit unserem neuen Text von H. von Hofmannsthal eine große Herausforderung, habe aber auch viel Freude an diesen wunderbaren, bilderreichen Worten. Ich bin gespannt welche Wirklichkeit und Erlebenswelt, welche Handlungsweisen sich durch sie für mich eröffnen.
Jetzt möchte ich lernen, mit weniger Anstrengung , als bei mir sonst üblich, an diese Aufgabe heran zu gehen. Ich möchte hineinschlüpfen in die Textgeschichte, zulassen und zeigen wohin sie mich und uns bei der Probenarbeit trägt.
Ja, liebe Sigrid,
von innen hineinschlüpfen in den vorgegebenen Text so wie du in einen Handschuh hineinschlüpfst und mit der (deiner) vorgestellten Situation, die Worte des Textes mit Atem füllen und Raum, mit deiner Imaginationskraft und die Stimme heben und senken – das ist schon (fast) alles (puh) und die Verkörperung, als bewusster Vorgang zu Physikalisieren natürlich — dann kann der Text zum Schau-Spiel werden. Nichts für ungut!
Ich freue mich auf dich bei DER TOR UND DER TOD.
Mit herzlichem Gruß.