Nachbesprechung

Noch ganz erfüllt vom Einblick in unsere Probenarbeit mit Zuschauern am letzten Sonntag treffen wir uns im Pavillon. Aber dieses Treffen ist ganz anders: alle wirken so beschwingt, entspannt und es kommt schnell richtige Feierstimmung auf. Dies liegt natürlich auch am tollen japanischen Menü, das Peter initiiert hat. Aber vor allem an dem guten Gefühl, dass die erste Aufführung gelungen ist und an der Freude daran, dies jetzt gemeinsam zu feiern und zu würdigen.

Das Feedback der Zuschauer

Darauf waren wir sehr gespannt. Ich hatte schon vorher mit meinen „Gästen“ gesprochen und mich sehr über die nachdenklichen und wertschätzenden Rückmeldungen gefreut:

  • Das schöne Ambiente im Pavillon mit der ausgesprochen freundlichen Begrüßung; die Atmosphäre familiär und professionell zugleich.
  • Die Kostüme und die Bühnengestaltung, sowie Lichtregie und Musik fanden großen Anklang.
  • Der Inszenierungsstil hat überrascht, war erst einmal etwas „gewöhnungsbedürftig“, hat aber rasch in den Bann gezogen.
  • Alle Schauspieler und die Inszenierung hätten sehr professionell gewirkt und man hat die harte Arbeit und den Spirit dabei gespürt.
  • Besonders beeindruckt haben die Schminkmasken, die die ausgeprägte Mimik der Schauspieler hervorhoben.

Ach ja, meine Mimik mit dem Kiefertic! Ich war schon etwas bange, was darüber gesagt wird. Es hatte mich Mut und Überwindung gekostet, dies so ausgeprägt zu zeigen. Besonders für Zuschauer, die mich kannten, war es nicht so leicht, mich damit länger anzuschauen. Trotzdem gab es Bewunderung und Verständnis dafür.

  • Die Mimik der Hofdame kommentierte oder reflektierte so das Geschehen. Ihr Gang im offenen Viereck um den König hat die sinnfreie Geschäftigkeit der Bediensteten zum Ausdruck gebracht, die auf Ansprache und Auftrag wartet und schließlich doch nur abgewiesen wird. Besonders in der Schlussszene hat die stille Haltung der Hofdame mit der ausgeprägten Mimik, traurig und fatalistisch lächelnd zugleich, im Abblendlicht beeindruckt.
  • Eine „kritische“ Bemerkung gab es zur Anfangsszene. Hier hätte man sich noch mehr von der Lebensmüdigkeit und der Entscheidung zum Weiterleben gewünscht.

Dies ist mir im Gedächtnis geblieben, es gab noch viel mehr und manches wirkt noch immer in mir nach. Die engagierten Rückmeldungen freuen und beschäftigen mich sehr. Gedanken, Ideen, Fragen tauchen auf. Was für ein wunderbares Zeichen. Es wurde wohl etwas berührt.

Fragebögen

Auf das Lesen der Feedback-Zettel waren wir sehr gespannt. Auf die Frage: „ wie hat Ihnen die Inszenierung gefallen?“ kreuzten Zuschauer auf der Skala von 1 (gar nicht) bis 10 (sehr gut) manchmal die 10 an, aber die Mehrzahl einen Wert um 7-8 . Immerhin! Zum Inhalt des Stücks wurde nicht sehr viel geschrieben. Dies ist aber auch nicht so leicht, wenn man noch ganz beeindruckt ist von der Aufführung. Manches muss erst einmal in Ruhe wirken. Das merke ich selbst bei mir.
Das Thema Müßiggang und Langeweile hat die meisten Zuschauer sehr angesprochen. Später habe ich noch mehr gehört: z.B. den Eindruck der gehemmten männlichen Identität der Figuren Leonce und König Peter, dem gegenüber die Stärke der weiblichen Figuren auffielen. Das Gefangensein in Strukturen und Zwang (zur Heirat ?!) …
Sehr gefreut hat mich das ausgesprochen positive Feedback für die Szene Rosetta und Leonce, für Valerio und auch für Leonce in seinem Monolog.

Vom Spieler zum Zuschauer

Ein Highlight des Abends hat uns Gianni ermöglicht. Er hatte den Film von unserer Aufführung schon geschnitten und so konnten wir die Zuschauerperspektive einnehmen. Für mich war es sehr beeindruckend, das Geschehen auf der Bühne jetzt von „außen“ betrachten zu können. Ich war so begeistert davon, was Peter, Belgin und Doris mit ihren Figuren gezeigt haben. Jeder hat noch einmal mehr aus sich heraus geholt! Was für eine tolle Entwicklung, die Peter mit seiner Figur, besonders in der Taschenlampenszene, gezeigt hat! Mich selber zu sehen, war nicht so leicht. Aber die Scham hat sich in Grenzen gehalten und ein klein bisschen stolz war ich dann doch auch.

 

Schauspieler sieht sich selbst in blauem Licht vor schwarzem Hintergrund.

 

Ja, Stolz erfüllt mich für unsere gemeinsame Leistung. Für das, was wir uns in den Proben mit Wolfgang und Gianni erarbeitet und dann auf die Bühne gebracht haben. All die Mühe hat sich gelohnt und wurde belohnt durch den Applaus und die Gespräche mit den Zuschauern. Ich finde es schön, dass wir Leonce und Lena noch einmal, oder vielleicht ja noch mehrmals, zeigen dürfen. Wie es sich wohl auch noch verändern wird? Der schöpferische Prozess geht weiter. Da bin ich sicher und darauf freue ich mich.

Meine Gedanken zum Inhalt von Leonce und Lena

Als Spielerin war ich sehr mit dem Ausdruck und der Gestaltung der Figuren beschäftigt. Jetzt konnte ich mit dem Film die Zuschauerperspektive einnehmen und mir Gedanken über den Inhalt machen. Die Überzeichnung der Figuren in unserem Stück, die Absurdität ihrer Handlungen und Worte hinterlässt bei mir einen starken Eindruck und fördern das Nachdenken über gesellschaftliche Phänomene und auch Konstrukte wie „Müßiggang oder Langeweile“.

„Organisierte Sinnlosigkeit“ : dieser Begriff von Adorno ist mir in einem Gespräch aufgefallen. Adorno hat ihn im Zusammenhang mit der Interpretation Beschreibung des absurden Theaterstücks von Beckett „Das Endspiel“ benutzt. Ich finde ihn auch ausgesprochen passend für das, was in Büchners „Leonce und Lena“ beschrieben wird. Da ist ein Prinz, der mit der Langeweile kämpft und in seinem überorganisierten, vorbestimmten Leben keinen Sinn zu finden vermag.

 

Drei Schauspieler stehen auf der Bühne. der ganz rechte scheint zu weinen, die in der Mitte verzieht ihren Mund und die ganz linke hält ihren Hut mit beiden Händen fest.

 

Auch sein Vater, der König, kämpft mit den Handlungen, dem Denken („der Mensch muss denken“– aber was und worüber – einen Sinn ergibt das nicht). Das Leben als Prinz oder Prinzessin ist vorbestimmt, organisiert und gleichzeitig ohne Inhalt. Alles ist sowohl als auch, entweder oder, Sinnhaftigkeit spielt keine Rolle. Was macht es für einen Sinn, ob die Tabakdose in der rechten oder linken Hosentasche steckt? Wohl keinen – außer einen Schein zu wahren. Müßiggang und Langeweile quälen den Prinzen, aber vielleicht nur deshalb, weil es sonst nichts zu tun gibt oder weil das, was zu tun wäre, sinnlos ist.
In unserem hektischen Leben heute sind diese kontemplativen Momente aber geradezu kostbar. Langeweile und Müßiggang ermöglichen Achtsamkeit, das sich-selber-spüren, das zu-sich-kommen. Rituale (dazu zählt wohl bei Büchner auch die Heirat) und straffe zwanghafte Organisation verdecken die Sinnlosigkeit. Die Organisation ist gleichsam der Sinn an sich. Die Wirkung davon ist oft Abstumpfen, Ein Gefühl der Nutzlosigkeit und schließlich Depression.

 

Schauspieler mit langem Bart, daneben Schauspielerin mit irrem Gesichtsausdruck.

 

In unserer Inszenierung findet die organisierte Sinnlosigkeit in dem engen Spielraum (Seilkreis) von Leonce und seinem Vater, den Gebärden und in dem stoischen Gang der Hofdame Ausdruck. Wie ein perpetuum mobile bewegt sie sich in ihrem Gang im offenen Viereck. Alles, auch die Beziehung zu Rosetta und die Hochzeit, ist bei Büchner voller Widerspruch und nichts ist eindeutig gut oder schlecht, richtig oder falsch. Leonce will Rosettas Leiche lieben? Die Hochzeit und die Aussicht auf Liebe erscheinen wie ein unerträgliches Schreckgespenst. Da braucht es den Narr, den Valerio, der dem allen einen Sinn zu verleihen vermag: „Wunderbar, ein Narr zu sein!“ Für ihn ist der Müßiggang Lebensfreude und Genuss. Er vermag es, alles eindeutig positiv zu sehen und kann über seine Provokation im Stück Entwicklung und Bewegung bei Leonce anstoßen: „Wir gehen nach Italien!“

Wie gut, dass es Satire und Witz gibt! Ist mit einem Lächeln alles leichter zu ertragen?! Aber wird wirklich etwas verändert?

Und was ist mit Prinzessin Lena? Sie leidet darunter, dass ihr Sinn nur in der baldigen Verheiratung mit einem Unbekannten liegen soll. Ihr Aufbegehren ist verständlich und auch nicht durch die freundliche Zuwendung der Gouvernante zu unterbinden. Diese scheitert mit ihrem gut gemeinten Versuch, die Konvention zu erhalten.

 

Schauspielerin mit Hochzeitsschleier hält Babypuppe vor sich.

 

Damals hat Büchner mit seinem Stück versucht, bestimmte gesellschaftlichen Phänomene durch die Überzeichnung in das Absurde zu entlarven. Vieles davon kann ich auch in unserem heutigen Leben noch finden. Ich finde es wunderbar, dass das Theater so viele Facetten des Menschlichen überdeutlich zeigt, uns beeindruckt, nachdenklich macht und den Spiegel vorhält. Großartig, dies auf der Bühne und als Zuschauerin erleben zu dürfen.