Projektbild: auf einem Fotohintrund steht der Schriftzug: Düsseldorf im Augenblick105 Minuten

Mit Neugier und ein wenig Besorgnis („ob ich wohl durchhalte?) besuchte ich die erste Filmvorführung der Videoporträts von 21 Düsseldorfer*innen, aufgenommen vom Kollektiv KEUTER&SARTO. Fünf Minuten Nichts-Tun vor der Kamera, einfach nur Schauen, ohne Gesten oder Worte – hierzu waren die Porträtierten bereit. Das Ergebnis war eine intensive Studie des Gesichts von Menschen, in all ihrer Unterschiedlichkeit. Sehr intime menschliche Studien.

Für mich als Zuschauerin bedeutete dies also, 105 Minuten in Gesichter schauen, keine Handlung erleben, in Stille eintauchen. Ich saß anfangs mit den anderen Besucher*innen in unserem Bühnenraum vor der Leinwand und dachte ehrlich gesagt: „spätestens nach der Hälfte gehe ich; das ist zu lang; da mutet man mir etwas zu…..“.

Doch dann kam es ganz anders.

Ich schaute in das erste Gesicht, das zweite, dritte und spürte einen zunehmenden Sog, eine Faszination bei der Betrachtung. Meinen Körper erlebte ich völlig entspannt, meinen Geist völlig wach und konzentriert auf die Gesichter, die ich 5 Minuten lang betrachten durfte. Und mein Zeitempfinden änderte sich. Erschienen diese 5 Minuten anfangs noch recht lang, so vergingen sie im Verlauf immer rascher. Nach etwa 3-4 Porträts spürte ich keinerlei Impuls mehr zu gehen oder die Augen zu schließen, sondern war gefesselt von der Individualität der verschiedenen Gesichter, ihrer Mimik und den mehr oder weniger durchschimmernden Emotionen und Persönlichkeitszügen.

Es gab viel zu sehen.

Einige Eindrücke, die mir in Erinnerung geblieben sind:

  • Die mit der Aufgabe verständlicherweise oft verbundene anfängliche Unsicherheit spiegelte sich sehr unterschiedlich in den gefilmten Gesichtern. Da gab es unruhige Augen, Zucken der Mundwinkel, kurzes Lächeln, häufigen oder sehr seltenen Lidschlag, kurzes Augenschließen oder auch ein fast starres, konzentriertes und unbewegliches Schauen in die Kamera.
  • Ein Gesicht zeigte mir ein besonders bewegtes Innenleben, inneren Kampf und Schmerz. Ich war sehr berührt.
  • Ein anderes beeindruckte mich durch den Ausdruck von Interesse, Zuwendung und großer Freundlichkeit. Wie wohltuend, in dieses Gesicht zu schauen.
  • Ein innig lächelndes Gesicht spiegelte Freude wider und meine Fantasie war Verliebtheit.
  • Ein Gesicht überraschte mich mit unglaublicher Lebendigkeit und Lebensfreude.
  • Ein Gesicht mit einem großen schönen aber völlig unbeweglichen Mund und sehr ausdrucksstarken Augen.
  • Ich sah den Schalk oder Humor im Gesicht eines bekannten Karnevalisten und viel Ernst, Nachdenklichkeit, Konzentration und manchmal auch Verschlossenheit in anderen.

24-34 mimische Muskeln

Das ist nur ein kleiner Ausschnitt meiner Wahrnehmungen und Empfindungen. Apropos Empfindungen. Wir  wissen, die 24-34 mimischen Muskeln spiegeln die Basisemotionen, Empfindungen, seelische Verfassung, und Persönlichkeit von Menschen wieder. Aber wir können auch die Gefühle und Absichten unserer Gegenüber nachvollziehen oder spiegeln. Wie automatisch das abläuft, habe ich an diesem Abend sehr deutlich gespürt. Besonders ein lächelnder oder auch anders bewegter Mund bewirkte eine ähnliche Mundbewegung bei mir. Je länger ich schaute, umso mehr nahm ich an kleinsten mimischen Bewegungen wahr. Ich spürte meine mimische Reflexion der angeschauten Gesichter und überlegte, ob eine Ähnlichkeit wohl zu sehen wäre, hätte man mich beim Betrachten gefilmt.

Düsseldorf

Das Videoprojekt trägt ja den Titel „Düsseldorf im Augenblick“. Erst am Schluss der Vorführung erfuhr ich, dass die porträtierten Persönlichkeiten zu Beginn der Kameraaufzeichnung zwei Fragen bekamen und über Antworten während der 5 Minuten nachdenken sollten. Sie lauteten: „Was gefällt dir besonders in Düsseldorf?“ und: „Was würdest du ändern in Düsseldorf?“ Die Antworten wurden im Anschluss an die Videoaufnahme gezeigt. Sie ähnelten sich oft (geliebt wird der Rhein, das Rheinufer, die Vielfalt in der Stadt; verändert wünscht man sich den Verkehr, mehr Grün in der Stadt)

Ich hätte gar nicht vermutet, dass es diese Anfangsfragen gab. Die Unterschiedlichkeit der Gesichter ließ das nicht erahnen – ich vermutete viel mehr innere Bilder und Erinnerungen, die zum Ausdruck kamen. Aber die konnten sich natürlich auch mit dem eigenen Lebensraum Düsseldorf beschäftigen.

Gelungen!

Hochinteressant: die Konfrontation mit sich selbst im Nichtstun, nur Schauen – die war stark und interessant für die Porträtierten (wie ich in einigen Gesprächen erfuhr) aber  auch ebenso intensiv und spannend für mich als Zuschauende.

Ein gelungenes Experiment!

Hinweis:

Weitere Termine sind im Spielplan zu finden.
Link zur Webseite des Videoprojektes