Dialogische Lesung: Effi Briest von Theodor Fontane
Sonntag, den 08.Dezember 2019
Was macht man mit einem Stück wie „Effi Briest“ von Theodor Fontane?
Auf den ersten Seiten des Werkes wird von einem jungen Mädchen erzählt, das im Garten der vermögenden Eltern ausgelassen auf einer Schaukel spielt. Es geht darum, die Lebensfreude, die Jugendlichkeit und die Naivität des Mädchens zu zeigen inmitten prächtiger Blumenbeete. Das schauspielerisch darzustellen ist eine Gratwanderung, zu schnell wirkt es persiflierend oder albern. Wie soll man diese Figur noch ernstnehmen? Ich erinnere mich noch gut, wie wir Augen verdrehend die erste Szene von Fassbinders Verfilmung aus dem Jahr 1974 in der Schule ansahen, um uns später auf dem Schulhof oder im Sportunterricht immer wieder spöttisch zuzurufen: „Nicht so wild, Effi!“. Und wenn wir im Unterricht eine Frage nicht beantworten konnten, sagten wir ironisch: „Nun ja, das ist ein zu weites Feld“ und fühlten uns sehr klug.
Zusehen und Zuhören
Seit letztem Sonntag jedoch bin ich froh, dass wir dieses Stück gelesen haben und ich bin noch froher, dass ich dreizehn Jahre und ein Germanistikstudium später noch einmal eine Bühnendarstellung sehen konnte, die mir dieses Werk neu erklärt. Weil sie nicht inszeniert, sondern erzählt.
Wolfgang Keuter erklärt den anwesenden Zuschauer*innen diese berühmte Eingangsszene ganz in Ruhe. Erst später lesen er und Sigrid Abendroth Originalauszüge des Fontane-Textes.
Zwar spielen die zwei mit Intonation und zuweilen auch mit Gestik und Mimik und ihrer Position auf der Bühne, aber insgesamt bleibt die Darstellung sehr reduziert. Und genau das führt dazu, dass man sich beim Zusehen und Zuhören voll und ganz auf den Text konzentrieren kann.
Effi Briest – eine vielschichtigen Frau
Sigrid Abendroth arbeitet zu Beginn und zum Ende der Lesung heraus, dass es sich um einen Frauenroman handelt, eine Lesart, die die Figur Effi nicht zu einem Kind ihrer Zeit degradiert, sondern zu einer vielschichtigen Frau auf der Schwelle zum 20. Jahrhundert macht und sie in dieser Rolle ernst nimmt. Diese Lesart ermöglicht eine Auseinandersetzung mit der Geschichte der Frauenbewegung ausgehend von dem Werk.
Effi wirkt dadurch eigenständiger, nicht ausschließlich als Opfer von Umständen. Sondern als eine Frau, die mit ihren Bedürfnissen und Ansprüchen aus der Gesellschaft herausgefallen ist, weil sie sich nicht gefügt hat.
Herzlichen Dank für diese Lesart und diese reduzierte und erzählerische Darstellung eines großen und schweren Werks!
Link zu den Terminen im Februar und April 2020:
Dialogische Lesung Effi Briest
Liebe Junia,
ganz ganz herzlichen Dank für deine Worte zu unserer „Effi- Lesung“. Sie berühren mich sehr, weil du so anschaulich und offen deine Reaktion beschreibst und mir das Gefühl gibst, dass Wolfgang und mir etwas Wichtiges gelungen ist: Den Zuschauern mit der Lesung Anschluss an eigene Erfahrung zu ermöglichen, Neues auszulösen, zu berühren und nachdenklich zu machen. Das freut mich unglaublich.