TheaterLabor TraumGesichtBühne – Campus Golzheim, Wolfgang Keuter im Interview mit Junia Hergarten

Ich habe mir angeguckt, was du alles so gemacht hast. Vieles ist ja auch schon angeklungen. Aber wenn du jemanden neu kennenlernen würdest und der fragt dich: Was machst du eigentlich beruflich? Was würdest du antworten? Was ist der Kern deiner Arbeit?

Wolfgang Keuter spricht über Slow Acting. Er sitzt auf einem Stuhl mit einem freundlichen, konzentriertem Gesichtsausdruck.Am ehesten bin ich wohl Psychodramatiker. Das umfasst alles. Ich habe eine fünfjährige Ausbildung abgeschlossen als Psychodramaleiter und viele Seminare in Dramatherapie besucht. Zudem habe ich einen Schauspielabschluss und mich einige Jahre als Schauspieler erfahren. Dann kamen die Ausbildung in Initiatische Therapie, in Zen und seine Exerzitien hinzu. Du merkst, es fällt mir nicht leicht eine Anzwort auf den Punkt zu bringen. Alles das ist wohl in dem Begriff Psychodrama enthalten. Im Kern versuche ich, Menschen durch schauspielerische Mittel komplexe Möglichkeiten der Selbsterfahrung anzubieten. Wobei ich Selbsterfahrung wirklich als Selbsterfahrung meine. Bei näherem Hinsehen ist oft das meiste lediglig Ich-Erfahrung und nicht Selbst-Erfahrung im Sinne von C. G. Jung und Graf Dürckheim. Hierzu veröffentliche ich sporadisch Beiträge auf meinem Slow Acting-Blog.

Wo ist denn da der Unterschied?

Nicht das Ich ist der Kern unserer Persönlichkeit, sondern eine höhere, transzendente Instanz in uns.  Der wunderbare Meister Eckhard nennt es das innere Fünklein. Zusammengefasst also etwas, das dem Ich übergeordnet ist, in dem das Ich aber enthalten ist. Das Selbst bezieht sich nicht nur auf den natürlichen Menschen, sondern auch auf den Geist, den kultischen Menschen. Ich bin Bürger zweier Welten: Ich bin vom Ich und bin vom Selbst, ich bin der Körper und auch mein Leib, bin von dieser und von jener Welt. Die Möglichkeit der Selbst-Begegnung wird nur selten gelehrt. Doch jeder kann durch Wahrnehmung und meditativen Ausdruck z. B. mit diesem, seinem inneren Kern in Berührung kommen. Ich biete mit meiner Methode Slow Acting  einen Weg dahin.

Jetzt seid ihr hier in diese Räume gezogen, dadurch hat sich deine Arbeit bestimmt auch wieder verändert. Was liegt dir hier besonders in Golzheim am Herzen?

Mir liegt am Herzen, dass wir uns hier entwickeln zu einem Kreis von Menschen in dem aufrichtiger, möglichst vom inneren Kern her, schöpferischer Dialog kultiviert wird. Ehrliches Aufrichtig-Sein impliziert die Alltagsmaske vertrauensvoll ablegen dürfen,  nicht verstecken müssen. Wir könnten zu einem Kreis werden in dem wir uns gegenseitig im schöpferischen Tun unterstützen, zu bestimmten Zeiten miteinander leben, üben und gestalten. Wichtig ist mir, dass wir uns als Menschen verstehen die nicht nur von ihrer persönlichen Biografie definieren. Wir sind mehr als unsere Biografie. Da ist ein innerer Mensch in uns kindlich geblieben. Unberührt von äußerer Erziehung und Anpassung an das Kollektiv. Dieser ist größer, weiser und älter als wir je sein können.  Ein Paradox, doch für mich wahrer seelischgeistiger Tatbestand.  Slow Acting bietet die Möglichkeit den inneren und äußeren Menschen zusammen zu führen.

Darum liegt mir Slow Acting im Herzen. Ich wünsche mir z. B. dass sich wieder Ensembles entwickeln um entsprechende Aufführungen auf die Bühne zu bringen. Ich denke an die Aufführung „Horizont“, bei der wir versucht haben alles Privat-Persönliche wegzulassen um das was zwischen den Rollenfiguren im Seelischen geschieht ritualisiert hervorzuheben und Gestalt zu geben. Wir haben dazu Rituale aus Karate-Bewegungsabläufen integriert. Der transpersonale Teil einer Persönlichkeit wird im Spiel-Ritual erfahrbar und anschaulich. Universale Hand- und Leibgebärden gebären ihn.

Ich will das Persönliche nicht auf der Bühne sehen. Sehr wohl aber Spiele in denen das Transpersonale erscheint. Aus diesem Grund ist der Ansatz  privat-persönliche Verfremdung durch Langamkeit und Kontemplation.

Für die Schauspieler*innen auf der Bühne ist das sicherlich eine sehr intensive Erfahrung, aus der sie auch verändert rausgehen. Welche Rolle hat der Zuschauer in dem Moment?

Hamlet sagt, das Theater muss der Natur den Spiegel vorhalten. Ich möchte dem Zuschauern einen Spiegel vorhalten in dem er erkennt: Sieh hin, das geht im Alltag unter und ist ein großer Verlust.

Durch Stille, Langsamkeit, Verfremdung, durch den Hara-Atem, durch die sparsame Ausdrucksweise kann es gelingen das Wahre und Wesentliche zu berühren und zu verkörpern. Nicht nur auf der Bühne. Auch im täglichen Leben kann eine solche Einstellung Gewinn Sein. Es gibt Momente in denen Stopp und Stille im stimmigen Augenblick eine Wende zur Wandlung aktivieren kann.  Du schaust eine Szene und die Spieler*innen verbleiben in einer Haltung in der es still wird. Es gibt Stille hinter allem Lärm. Wenn wir für sie offen werden tun wir ganz viel Gutes für uns Selbst und für die Umwelt.

Es gibt Zuschauer*innen welche Stille nicht aushalten können. Sie ist provokativ. Es gibt Zuschauer*innen mit Sehnsucht nach Stille. Manche haben bereits erlebt das Stille tatsächlich stillt und befriedet. Zu dieser Erfahrung möchte ich anregen. Die Slow Acing-Bühne zeigt nicht den Alltag sondern eine andere Sphäre des Lebens. Wir zeigen auch, das alle Anspruch darauf haben durch ritualisiertes Handeln Stille zu erleben und durch sie Lebensqualität! Also: Kommt zur Ruhe, atmet, bewegt euch mal langsamer und gewinnt an innerer, seelischer Zeit. Der Alltag hat auch eine andere Seite. Es geht mir im Slow Acting-Schauspiel darum schauend zu spielen, wahrnehmend und erkennend, darum das Leben als Spiel zu leben.

Vielen Dank für das Gespräch!

Die Fragen stellte Junia Hergarten

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