Wir haben die Figuren zerstört, wir haben neue Figuren geschaffen

Martin Pyka in Proben auf der schwazen Bühne.Erzähl doch mal ein bisschen aus deiner Perspektive von dem Projekt. Was ist Idee dahinter?

Am Anfang lag der Fokus darauf, eine Wandlung zu zeigen. Eine Wandlung, die ganz abstrakt dargestellt werden kann. Wir haben uns sehr offen dem Thema angenähert. Mit vielen Textvarianten und Episoden aus verschiedenen Stücken. Im Endeffekt haben wir uns im Ensemble entschieden, unter anderem Goethes Iphigenie auf Tauris zu nehmen und darauf aufzubauen. Den Text haben wir komplett auseinandergenommen und entfremdet. Wir haben die Figuren zerstört, wir haben neue Figuren geschaffen. Die Wandlung, um die es uns ging, ist jetzt in mehreren Aspekten darin – irgendwo versteckt. Ich glaube, es geht darum, eine Projektionsfläche zu geben, damit die Zuschauer*innen sich irgendwo einklinken können und sagen können: Das ist ein Teil von mir und von dem, was ich gerade erlebe. Es geht nicht darum, ein komplettes Stück zu zeigen, das in irgendeiner Art und Weise von A bis Z verstanden und interpretiert wird. Das ist echt spannend.

Ich finde es auch ganz fantastisch, dass das Projekt so viele Förderer hat. Es erfährt eine ganz andere Art der Wahrnehmung, denn Corona hat dem Projekt auch eine neue Chance geboten. Es war fraglich, ob es auf der Bühne realisiert werden kann und hat sich dadurch verändert. Gianni hat das sehr gut organisiert und so wird dieses Projekt auch auf Video aufgenommen. Ich freue mich sehr darauf, dass dieses Stück nicht nur in einer Live-Aufführung gezeigt wird. Es ist auch ein bisschen eine andere Verantwortung, wenn es festgehalten wird und wieder abrufbar ist. Ansonsten freue ich mich auch wahnsinnig auf die Aufführung, weil das wirklich eine ganz andere Art der der Regie ist. Es ergibt sich sehr viel aus dem Augenblick, und Wolfgang hat uns in seiner unglaublichen Art darauf vorbereitet jemand anderes für diesen Moment zu werden.

Warum nimmt man ein Stück und „zerstört“ es und macht nicht von Grund auf etwas Neues, Eigenes?

Die Dichter liefern immer eine gute Vorlage. In verschiedenen Sätzen oder Aspekten ihrer Darstellungen einen Kern zu finden, ist spannend. Aus den Sätzen die Essenz herauszuholen, das für sich zu verwandeln und vielleicht sogar in neue, eigene Sätze zu verpacken – darum geht es uns. Ich glaube, dass der Dichtertext trotz großer Veränderung irgendwo unterschwellig immer mitgetragen wird. Die Grundlage braucht man schon.

Angenommen man wäre jetzt sehr vertraut mit dem ursprünglichen Stück – geht es überhaupt darum, das dann noch wiederzuerkennen?

Ich glaube, wenn man Germanistik studiert hat und gerade zurzeit das Buch liest, ja dann würde man wahrscheinlich noch einzelne Textstellen erkennen in den Sätzen. Aber im Projekt geht es mehr um die Stille dazwischen, würde ich so unterm Strich sagen. Für die Proben ist der Urtext trotzdem enorm wichtig, weil man sich dann schwerer verlieren kann. Wenn das passiert, kann man sich fragen: Was ist eigentlich in dem Text gewesen? Der Text ist eine Orientierung. Er hilft auch dabei, einen Zugang zur Figur zu finden. Ich habe mich ursprünglich sehr viel mit dem Thema Weiblichkeit und Androgynität im Iphigenie-Text befasst. Die Arbeit am Text war anfangs einfacher, als schlichtweg eine Anweisung umzusetzen, die mir sagt: Sei weiblich oder spiel mal weiblich. Ich habe mir quasi durch den Text eine Interpretation angeeignet und die Worte langsam von dieser großen Frauenfigur zu mir gebracht. Ich bin bisher noch nicht so frei mit einem Text umgegangen, den Text dieses Mal so zu entfremden, habe ich noch nie erlebt.

Martin Pyka in Proben auf der schwazen Bühne. Er wird von grünem Licht angestrahltWas fasziniert dich denn am Schauspielen?

Es macht Freude, wenn man gerade im Moment dabei ist zu spielen – wenn man den Akt vollführt. Schauspiel ist eine wahnsinnige Bereicherung, es bringt für den Alltag auch sehr viel. Das Schauspiel an sich hört nie auf. Das Erstaunliche daran ist, dass man die Sachen nicht mehr so ernst betrachtet und versucht Konflikte spielerisch zu lösen. Außerdem ist mein Blick geschärft, ich beobachte sehr gerne Situationen und Menschen, die irgendwie als fremd oder anders gelten. Und ich sehe nicht das Störende darin, sondern ich denke mir: Das nehme ich mir für meine Figur mit oder für irgendeine, die ich einmal entwickeln werde. Wenn man einmal reingetappt ist in die Schauspielfalle, dann lässt sie einen nicht mehr los.

Schauspiel ist aber auf keinen Fall Kopfsache. Es ist etwas, das man nicht mal lernt, würde ich sagen. Sondern man macht es und erfährt es Stück für Stück, indem man sich öffnet.

Mit was für einem Gefühl gehst du auf die Bühne bei der Aufführung?

Ich bin schon jemand, der sehr aufgeregt vor der Aufführung ist – wirklich sehr aufgeregt! Und sobald ich diesen Bühnensteg betrete, weiß ich eigentlich nichts mehr. Das bedeutet, dass ich dann ganz durchlässig bin für alle Gefühle, die aus mir herauswollen. Ich erinnere mich hinterher dann an einzelnen Sequenzen, bin aber grundsätzlich mehr im Moment.

Wie bist du eigentlich hier gelandet?

Als ich damals frisch in Düsseldorf aufgeschlagen bin, habe ich geguckt, wo ich mich nützlich machen kann. Ich kam mit dem Hintergrund der Pressearbeit und hatte auf meiner Bucket List aber auch noch aufgeschrieben, dass ich unbedingt wieder Schauspiel machen möchte. Durch die Ehrenamtsbörse bin ich dann auf Gianni gestoßen und konnte beides verbinden.

Interview von Junia Hergarten, 23. Juni 2021

Ensemble Wandlung21

Es spielen

  • Martin Pyka – Figur A
  • Nikolai Karrasch – Figur B

Leitung

  • Wolfgang Keuter – Regie, Schauspiel, Psychodrama
  • Gianni Sarto – Maske, Kostüm, Foto, Video
  • Sigrid Abendroth – Regieassistenz
  • Doris Horn – professionelle Feedbacks
  • Antje Orentat – Lichttechnik

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