Ein Baugerüst als Inspiration

Gianni Sarto in seiner Maskenwerkstatt

Wie ist es zu der Idee des Projekts gekommen?

Ursprünglich sollte es ein anderes Stück sein, und zwar das Gartenfest von Vaclav Havel. Und dann kam Corona in die Quere, und wir konnten nicht aufführen. Dann habe ich beim Rowohlt Theaterverlag angerufen, von dem wir die Aufführungsrechte des Stücks erhalten hatten, und gesagt, dass wir gerne zusätzlich die Videorechte hätten. Die Antwort war, es wäre teuer und langwierig. Im Gespräch mit dem Verlag wurde ich jedoch auf das Projekt Gutenberg aufmerksam, das Literatur frei zugänglich online veröffentlicht. Die Dame am Telefon gab mir den Hinweis, nach Autoren zu suchen, die mindestens 70 Jahre verstorben sind, weil sich da die Rechtefrage nicht stellt, weil das Urheberrecht erloschen ist. Und um das Ganze noch ein wenig mehr einzuengen, wäre es sinnvoll, nach deutschsprachigen Autoren zu suchen, da wir dann auch kein Problem mit den Übersetzungsrechten hätten. Und dann haben wir recherchiert und auf einmal 750 Theaterstücke von deutschsprachigen Autoren vorliegen gehabt. Und dann mussten wir im Team schon ein bisschen lesen und stöbern irgendwann rückten für uns ein paar Theaterstücke immer näher und aus denen haben wir diese Collage gemacht.

Wonach habt ihr die Texte ausgewählt?

Für uns im Team, Sigrid Abendroth, Doris Horn, Nikolai Karrasch, Wolfgang Keuter, Antje Orentat, Martin Pyka und mich, war wichtig, dass es Geschichten sind, in denen ein Konflikt bearbeitet wird und durch diesen Konflikt eine Veränderung eintritt, eine Wandlung. Das haben die Texte alle gemeinsam.

Die beiden Schauspieler Martin und Nikolai haben erzählt, ihr hättet die Figuren dekonstruiert, ja zerstört. Wie siehst du das?

Im Prinzip ist bei unserem Spielstil die Figur, die vom Dichter vorgegebene Rolle, unbedeutend. Auch ist beim Slow Acting der Text und die Geschichte nachrangig, weil Wolfgang mit seiner ungewöhnlichen Regie viel über den Körperausdruck, die Stimme und Gebärden arbeitet. Sie sind anfangs sehr reduziert, begrenzt, vorgegeben. Nur durch Begrenzung entsteht Freiheit. Wir stecken bewusst den Rahmen eng und auf einmal wird alles ganz frei, das ist ein geheimnisvoller Prozess.

Probenfoto Wandlung21: Zwei Schauspieler im grün beleuchtetem Bühnenraum. Sie zwigen starke Gebärden im Profil.Wolfgang und ich sind gar nicht darauf aus, dramaturgisch eine vom Dichter vorgegebene Geschichte zu erzählen, uns geht es darum, die Tiefe der Texte durch unsere Methode Slow Acting zu erforschen und zu einem Ausdruck zu bringen. Am Ende ist es der Versuch einer Darstellung von Inhalten, die sich zwischen den Worten abspielen und damit ist auch die Figur, die etwas in einem Stück sagt, überflüssig. Wir möchten, dass die Figuren wie eine leere Leinwand sind, auf die der Zuschauer seine Bilder malt. Der Zuschauer kreiert  die Figur mit seiner Phantasie. Das bezieht sich zum Beispiel auch auf die Wahrnehmung von Weiblichkeit und Männlichkeit. Optisch sind die Figuren fast identisch, sie haben ein paar feine Nuancen als Unterschied.

Und der Titel Wandlung 21 – Worauf spielt er an?

Es ist ein großes Menschheitsthema: Krise und Wandlung. Mit ihm beschäftigt sich Wolfgang schon seit mehreren Jahrzehnten. Im Team sind wir wie gesagt auf der Stücksuche gewesen. Das Gartenfest konnte es nicht geben und dann kam noch die Absage des größten Förderers hinzu. Und das ganze Projekt samt Stück musste gewandelt werden und wir waren in einer Krise. Es passt also zum Entstehungsprozess. Das Stück ist insgesamt sehr reduziert, ein kleines Ensemble, wenig Probenzeit. Letztendlich ist das der erste Arbeitstitel, und er ist geblieben.

Du filmst und stellst das Ganze online, außerdem fotografierst du regelmäßig in den Proben…

Durch die Reduzierung und das Verkleinern des ganzen Projekts haben wir vereinbart, dass es auf jeden Fall gefilmt wird. Wir filmen bewusst bevor wir die Aufführung zeigen, da wir ja nicht wussten, ob wir sie zeigen dürfen. Das Fotografieren gehört zu den Proben. Die beiden Schauspieler sollen spielen, ohne mich zu bemerken. Das Spiel ist unkonventionell in Inszenierung und Dramaturgie und den beiden tut es gut, sich selbst in einem visuellem Feedback zu sehen. Ich kann ihnen das durch meine Fotografien ermöglichen.

Und jetzt verrate doch noch ein bisschen über die Kostüme…

Probenfoto Wandlung21: Zwei Schauspieler im grün beleuchtetem Bühnenraum. Sie zwigen starke Gebärden im Profil.Die Kostüme sollen die Verfremdung unterstreichen. Es sind sehr eigenwillige Formen mit viel Volumen, die dennoch leicht wirken. Ich habe Gewebe benutzt, die eigentlich nicht für Kleidung gedacht sind. Und meine Aufgabe war es, über meinen Hang ins Asiatische Theater, Kostüme zu machen. Inspiriert wurde ich für die Kostüme bei einem Spaziergang, der mich an einem Baugerüst (lacht) vorbei geführt hat. Da gibt es Textilien, die zum Schutz an Baugerüsten hängen, die sind fest und stabil und gleichzeitig leicht transparent. Letztlich habe ich mich für ein Gewebe entschieden, welches als Bühnenvorhang verkauft wird.

Ergänzend habe ich zusätzlich noch eigenwillige Kopfbedeckungen entwickelt aus Filzstumpen, die sind ein bisschen wie Helme, auf die man alles Mögliche montieren kann.

Meine Kostüme und das Schauspiel von Wolfgang Keuter sollen dabei eine Symbiose eingehen. Wir nennen es, wenn es gelingt, Slow Acting. Die Kostüme fordern zum Teil bestimmte, große verfremdete Bewegungen. Andersherum kaschieren die Kostüme auch. Wenn die Kostüme zum Beispiel recht steif gearbeitet sind und man Geh-Bewegungen nicht mehr sieht, dann verfremdet das wiederum die Fortbewegung der Figur. Die Art von Gestaltung, entwerfen, umsetzen, fotografieren und filmen erfüllt mich rundum. Ich bin sehr dankbar, in Zeiten wie diesen, arbeiten zu können und mich solchen Aufgaben zu stellen.

Danke an dieser Stelle an das Kulturamt Düsseldorf, an die Kulturstiftungen der Sparkassen Düsseldorf und Rheinland, ohne deren Förderung wir dieses Projekt nicht zur Aufführung hätten bringen können.

Interview von Junia Hergarten, 28. Juni 2021

Ensemble Wandlung21

Es spielen

  • Martin Pyka – Figur A
  • Nikolai Karrasch – Figur B

Leitung

  • Wolfgang Keuter – Regie, Schauspiel, Psychodrama
  • Gianni Sarto – Maske, Kostüm, Foto, Video
  • Sigrid Abendroth – Regieassistenz
  • Doris Horn – professionelle Feedbacks
  • Antje Orentat – Lichttechnik

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